Kolumne «Geschichte» über die Triage in der Corona-Pandemie
Lizenz zum Sterben

Durch die Corona-Pandemie ist die Triage in die Schlagzeilen geraten. Wer bekommt das letzte Beatmungsgerät? Und: Wie stirbt man in Würde?
Publiziert: 27.11.2020 um 14:10 Uhr
Claude Cueni, Schriftsteller.
Foto: Thomas Buchwalder
Claude Cueni

«Krieg führen, lasse die anderen, heirate!» Das war die Erkenntnis eines Mannes, der fünfzehn Jahre lang Krieg geführt und durch eine Heirat vorübergehend auch seinen persönlichen Frieden gefunden hatte. Kaiser Maximilian I. (1459–1519) war nicht nur «der letzte Ritter», sondern auch der «erste Kanonier», weil er die Kriegsführung modernisierte und der Militärmedizin mit der «strukturierten Triage» sein Siegel aufdrückte. In Kriegszeiten sollten verwundete Soldaten je nach militärischem Rang Vorrang und Zivilisten letzte Priorität haben.

Die Triage wurde bereits im alten Ägypten praktiziert, in Europa regelte 1787 ein königlich-preussisches Reglement die Vorgehensweise verbindlich.

Triage ohne Rücksicht auf den Rang

Dominique Jean Larrey, Sohn eines Schuhmachers, setzte im Laufe der napoleonischen Kriege als Militärarzt und Feldchirurg eine neue Triage durch. Er nahm keine Rücksicht auf den militärischen Rang der Verwundeten. Er galt deshalb als «Freund der Soldaten». Mit seinen fliegenden Lazaretten führte er Notamputationen auf dem Schlachtfeld durch, und es war ihm egal, ob der Verwundete Freund oder Feind war.

Mit der Pandemie ist das Thema Triage wieder in den Schlagzeilen. Wer kriegt das letzte Beatmungsgerät? Die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI) hat nun gemeinsam mit den Akademien der Wissenschaften Schweiz (SAMW) neue Richtlinien erlassen. Eine neunstufige Skala soll Intensivmedizinern bei Bedarf helfen, Patienten nach medizinethischen Grundsätzen zu klassifizieren und dafür zu sorgen, dass Entscheide im Nachhinein transparent und nachvollziehbar sind.

Schmerzbefreiung mit Todesfolge

Wer aber in den kommenden Wintermonaten durch die Triage fällt, sollte wenigstens die Wahl haben, sein absehbares Ende durch eine externe Freitodbegleitung innerhalb des Spitals abzukürzen. Falls er dies ausdrücklich wünscht. Zurzeit sind Freitodbegleitungen in Universitätsspitälern juristisch nicht zulässig, obwohl Sterbehilfe keine Tötung wäre, sondern eher Schmerzbefreiung mit Todesfolge.

Leider leisten sich viele Gesunde eine Gutmenschenethik, die weder auf Schmerzerfahrung noch auf Empathie beruht. Die Erlösung, die man dem geliebten Haustier gewährt, sollte man auch dem Menschen gewähren. Sofern er dies wünscht.

Claude Cueni (64) ist Schriftsteller und lebt in Basel. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK. Kürzlich erschien sein Thriller «Genesis – Pandemie aus dem Eis». Ab heute sind auch «Claude Cuenis Geschichtskolumnen 1–75» im Handel.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?