Wie kann man Süsses geniessen, ohne dass die Finger dabei klebrig werden? Schimpansen waren die Lehrmeister unserer Vorfahren. Mit einem dünnen Ast kratzten sie Honig aus den Bienenstöcken, behielten den Ast und leckten ihn sauber. Der erste Lollipop. In der Antike pflegte man Früchte, Mandeln und Sesam in Honig einzulegen und die gehärtete Masse aufzuspiessen.
Das taten auch George Smith und sein Kumpel Andrew Bradley in den 1880er-Jahren. Sie steckten alles Mögliche auf einen Stängel. Bei einem Pferderennen beeindruckte sie ein Pferd namens Lolly Pop. So nannten sie dann auch ihren ersten kommerziellen Lutschstängel, der die Welt der Kinder erobern sollte.
Lockangebote und Lebensstandard
Heute nutzen Eltern gerne einen Lollipop, um ihre Kinder zu belohnen. Oder gefügig zu machen. Esswaren eignen sich vorzüglich für die Dressur. Ratten dressiert man mit Bananenscheiben, Hunde mit Knochen, Katzen mit Fisch.
Könnte man einige Unentschlossene mit Lollipops in die Impfzentren locken? Kommt drauf an. Auf der philippinischen Insel Negros erhält man nach dem Impfen fünf Kilo Reis. In einem Land, in dem ein durchschnittlicher Jahreslohn in etwa einem durchschnittlichen Schweizer Monatslohn entspricht, ist das durchaus ein Anreiz.
Dass solche Lockangebote auch in Deutschland funktionieren, deutet auf einen sinkenden Lebensstandard hin. In Niederbayern gibts ein kleines Geschenk, so eine Art Überraschungs-Ei, in Regensburg gibts Freigetränke, in Kelheim eine Bratwurst mit Semmel, in anderen Städten Kinotickets oder ein Bier. Wäre in der Schweiz eine Zuger Kirschtorte Anreiz genug?
Vielleicht ein Steuerrabatt
Auf der schweizerischen Hochpreisinsel ist kein Lollipop gross genug, um alle Gruppierungen umzustimmen. Die einen misstrauen einem Impfstoff, der im beschleunigten Verfahren zugelassen wurde, andere vertrauen dem Wohlwollen der Götter, Geschichtslose wähnen sich in einer Nazi-Diktatur. Die Beweggründe sind so vielfältig wie unsere Parteienlandschaft. Vielleicht wäre ein Steuerrabatt für einige Anreiz genug. Unsere tiefe Impfquote verlängert die Pandemie und kostet den Bund wesentlich mehr.
Disclaimer: Ich bin zweifach geimpft und pflege weder wirtschaftliche noch sexuelle Beziehungen zu Impfstoff-Herstellern.
Claude Cueni (65) ist Schriftsteller und lebt in Basel. Er schreibt jeden zweiten Freitag im Blick. Zuletzt erschienen bei Nagel & Kimche sein Thriller «Genesis – Pandemie aus dem Eis» und sein Roman «Hotel California».