Willi Ritschard zeigte mir mal das Sitzungszimmer des Bundesrats. Als ich eintreten wollte, hielt er mich zurück. Ich durfte nur hineinschauen. «Dabei bist du vom Parlament gewählt, als unser Angestellter», motzte ich. «Dann wäre das Parlament unser Chef», meinte Ritschard. «Das würde dir so passen. Alle sind mit ihrem Departement Chef.» – «Nicht der Bundespräsident?» – «Nein, der ist das ja nur auf Abruf für ein Jahr.»
Der Bundesrat hat seine Besonderheiten. Der Direktionspräsident der Nationalbank ist der einzige Gast, der an einer Sitzung dabei sein darf. Bloss einmal im Jahr.
Mühsame Einzelgespräche
Staatssekretär Franz Blankart war drei Jahre Chefunterhändler mit der EU. Für das EWR-Abkommen von 1992. Konkret ging es dabei um den Zutritt der Schweiz zum EU-Binnenmarkt.
Blankart hat den Bundesrat nie über den Stand der Verhandlungen orientieren können. Er bekam auch nicht neue Instruktionen. Das deshalb nicht, weil er gar nie dazu eingeladen wurde. Blankart informierte die Damen und Herren Bundesräte regelmässig persönlich im Einzelgespräch. Ein mühsames System.
Diese Praxis sei schlicht «unmöglich», wetterte FDP-Ständerat Ernst Rüesch aus St. Gallen. Er handhabe das als Regierungsrat anders. Und erwähnte mir gegenüber als Beispiel die Schulreform. Die habe im Gremium doch nicht er präsentiert. Dafür sei die zuständige Fachfrau viel besser qualifiziert. Nachdem es keine Fragen mehr gab, habe er sich in die Debatte eingeschaltet. Um die politische Dimension der Vorlage zu erklären.
Wir sind doch keine Studenten!
Die Frage stellt sich, ob der Bundesrat immer noch so kompliziert arbeitet. Ich weiss nichts anderes. Es sei denn, es habe ein verheimlichtes Umdenken stattgefunden.
Moritz Leuenberger bekam jedenfalls noch die alte Praxis zu spüren. Er wollte als Umweltminister den Klimaexperten und Professor Thomas Stocker ins Kollegium einladen. Sie seien keine Studenten mehr, lehnte die Mehrheit ab. Passiert 2003.
«Das System ist krank, aber es funktioniert hervorragend», lästerte der Spötter vom Dienst, CVP-Nationalrat Paul Eisenring. Wieso gleichwohl alles gut klappe, habe er als gläubiger Katholik intus: Im Bundeshaus walte die göttliche Vorsehung.
Helmut Hubacher (93) war von 1975 bis 1990 Präsident der SP Schweiz. Er schreibt jeden zweiten Mittwoch im BLICK.