Frauen stellen die herkömmliche Wirtschaftslehre radikal auf den Kopf. Die Forscherinnen wollen, dass im Zentrum der Wirtschaft wieder die Menschen stehen. Und sie alle nehmen es mit den Grossen auf.
So schiesst die emeritierte Harvard-Professorin Shoshana Zuboff scharf gegen Big Tech. Sie zeigt auf, warum Techgiganten wie Facebook und Google sich nicht ändern werden. Die Firmen sind Beispiele eines Überwachungskapitalismus, der unser Verhalten durchleuchtet, ausnutzt und damit Geld verdient.
Daten bis ins Schlafzimmer
Es sind Firmen, die unsere Persönlichkeit in der Küche bis hin ins Schlafzimmer via Smartphone oder intelligente Lautsprecher erfassen und verkaufen. Sie haben längst reihenweise andere Branchen wie Versicherungen, Pharma, Handel dazu inspiriert, ebenfalls hoch profitablen Überwachungsgeschäften nachzujagen. Zuboff fordert, dass die Datenkonzerne reguliert werden und ihre Privatsphären-Praktiken offenlegen müssen.
Die Wirtschaftsprofessorin Mariana Mazzucato kritisiert, dass ebendiese Konzerne grosse staatliche Innovationen wie das Internet und GPS gratis übernommen haben, die Gewinne aber für sich einstreichen. Sie zeigt, dass in den Labors staatlicher Universitäten technologische Durchbrüche gelingen, dieses Wissen aber oft direkt zu den Techgiganten wandert. Diese haben sich auch in der Schweiz besonders eng um die innovativsten staatlichen Bildungsstätten angesiedelt. Auch im Gesundheitsbereich finanziert der Staat bahnbrechende Therapiestudien. Big Pharma bedient sich und diktiert dem Staat dafür horrende Medikamentenpreise. Mazzucato fordert, diesen Systemfehler zu korrigieren.
Die Kreislaufwirtschaft
Oxford-Ökonomin Kate Raworth hat gar ein komplett neues Wirtschaftsmodell entworfen, das solche Unarten beseitigt, die Umwelt schont und Ungleichheit mindert: eine Kreislaufwirtschaft, in der so produziert und wiederverwertet wird, dass es die Erde möglichst wenig belastet.
Wirtschaftsprofessorin Stephanie Kelton liefert schliesslich das Konzept, mit dem die gesellschaftliche und ökologische Wende finanziert werden kann. Sie ist eine Vorkämpferin der Modern Money Theory. Geld soll nicht mehr via Notenbank den Banken zugespielt werden, was zu Spekulationsblasen geführt hat, sondern direkt dazu verwendet werden, Vollbeschäftigung zu erwirken. Es bringe den Menschen nichts, zu sagen, hey, du bist zwar arbeitslos, aber die Wall Street wurde gerettet, und das Staatsdefizit ist dafür nicht so hoch.
Unbequem und anstrengend
Diese ketzerischen Wirtschaftswissenschaftlerinnen sind vor kurzem noch belächelt worden. Heute hören einflussreiche Politikerinnen auf sie, die sich für einen weniger rücksichtslosen Kapitalismus starkmachen. Sei es die jüngste amerikanische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, die sich dafür einsetzt, dass die USA die grüne Wende schafft, oder Senatorin Elizabeth Warren, die Big Tech zerschlagen will, oder EU-Kommissarin Margrethe Vestager, die mit hohen Geldstrafen auf skrupellose Geschäftspraktiken zielt.
Ja, diese Frauen sind unbequem und anstrengend. Sie fordern uns auf, bestehende Denkmuster zu verlassen. Aber für alle jene, die Fortschritt daran messen, dass es allen Menschen besser geht, dürften sich diese Denk-Experimente durchaus lohnen.
Patrizia Laeri (40) ist Wirtschaftsredaktorin und -moderatorin von «SRF Börse» und «Eco» sowie Beirätin im Institute for Digital Business der HWZ. Sie schreibt jeden zweiten Mittwoch für BLICK.