Gleichzeitig mit den Schneeglöckchen und den Primeln öffnen sich die Läden, der Himmel und unsere Herzen. Lassen wir den gefügigen Zustand von Lähmung und Erschöpfung hinter uns, in den uns der Winter, das Virus, der Lockdown versetzt haben.
Wagen wir es wieder, unsere Leben im Traum zu überschreiten und mit unseren Sehnsüchten zu wandern, hinaus in die weite Welt, die auch ganz in der Nähe sein kann. Denn unsere Sehnsüchte sind eine Art Heim- und Fernweh, sie geben eine Richtung vor. Wie ein stetiges Murmeln, ohne dessen Echo wir nicht sein mögen, sollen sie unser Leben berühren und begleiten, ob irreal, beschämend oder leer, ob kitschig oder klischiert, seriös oder pompös, wirklichkeitsverweigernd oder pragmatisch: Alle Zeichen von Lebenslust sind willkommen.
Dabei gibt es Menschen, deren Lust in der Wut zu gründen scheint. Wie etwa der Bekannte, der bei jeder Begegnung über den Wahnsinn der Welt klagt und dabei aufblüht.
Er erregt sich über den Lockdown, die Beendigung des Lockdowns, Rassisten, Antirassisten, die Diktatur des Bundesrats, die Führungsschwäche des Bundesrats, die Schlichtheit der Massen, die Verlogenheit der Eliten, den mörderischen Kapitalismus, die wirklichkeitsfremden Linken, Regen, Schnee, Kälte, Hitze, Junge, Alte. Als guter Empörer neigt er nicht zu Selbstreflexion. Seine auf Rage bestehenden Bedürfnisse werden von Widersprüchen sowohl genährt als auch gestillt. Ein elegantes Perpetuum mobile, niemals wird dieser Mann wunschlos glücklich und niemals wunschlos unglücklich sein.
Die Erregung und die Ruhe danach
Die lautstarke Empörung solcher Menschen lässt sich als Ausdruck ihrer Sehnsucht nach Verbundenheit begreifen, ihr unversiegbarer Unmut stärkt ihr Ich. Aber natürlich sind nicht alle Sehnsüchte so total. Viele, manchmal hat man das Gefühl: immer mehr, sind ziemlich partiell und materiell.
Gerade Pragmatiker richten ihre Träume gerne auf einen Gegenstand aus, den sie sich nach einer angemessen sehnsuchtsvoll verbrachten Zeit werden leisten können. Sie halten nichts von unerfüllbarer Liebe. Sie mögen die Erregung, aber ebenso mögen sie die Ruhe danach. Sie hätscheln und hegen und pflegen und nähren ihr Verlangen, und ist es erfüllt, so erlischt es. Aber bald wieder erwacht ein neues Sehnen, zum Glück, alles wird gut.
Ursula von Arx hält sich für ziemlich unbeeindruckbar von der Warenwelt, muss aber feststellen, dass auch sie im Lockdown einige Sehnsüchte mit Onlineshopping befriedigte. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im BLICK.