Kolumne «Alles wird gut»
Die Offenheit ist in Gefahr

Die Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm beschränkt die Meinungsfreiheit nicht. Die offene Diskussion ist durch anderes bedroht.
Publiziert: 26.01.2020 um 22:56 Uhr
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Aktualisiert: 27.01.2020 um 11:19 Uhr
Ursula von Arx, Autorin.
Ursula von Arx

Sehnen Sie sich manchmal nach alten Zeiten, als in Vorabendserien ein langbeiniges Karrieremädchen seinen grossen Auftritt mit einer Tasse löslichem Nescafé hatte? Den sie einem glatt rasierten Broker («Gillette – Für das Beste im Mann») wimpernklimpernd auf den Tisch stellte, worauf beide sich in die nächstgelegene Besenkammer kämpften – und wieder zurück ins Sitzungszimmer.

Und keiner schrie #MeToo. Als die Leute noch nicht schlapp und süsslich waren vor lauter Fleischverzicht und niemand eine Triggerwarnung forderte, wenn in einem Vortrag «Vergewaltigung als Kriegswaffe» thematisiert wurde. Da konnte man noch «Lehrer» sagen, wenn man «Lehrerin» meinte. Man wurde auch nicht vom Gesetz belästigt, wenn man öffentlich den Verdacht äusserte, Aids sei eine Strafe Gottes für Homosexuelle.

Zensur ist kein Thema

Heute jedoch, so hört man klagen, seien die Empfindlichkeiten ins Absurde gewachsen. Sich unter Menschen zu begeben, heisse, sich auf ein Minenfeld zu wagen. Was da alles beachtet werden müsse, damit sich keine und keines und keiner verletzt, verachtet, bedrängt, beleidigt oder gar ignoriert fühle. Eng und enger würden die Grenzen des Sagbaren.

Letzteres ist natürlich Quatsch: Sagen können Sie immer noch alles. Solange Sie nicht öffentlich Hass säen und hetzen, aber das läge Ihnen ja eh fern. Sie können sich über die Forderung nach Triggerwarnungen lustig machen, die gendergerechte Sprache kontraproduktiv finden und Ungerechtigkeiten durch #MeToo beanstanden.

Und auch nach dem 9. Februar (Abstimmung zur Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm) können Sie immer noch coram publico, vor aller Welt, darüber nachdenken, welche sexuelle Orientierung der liebe Gott wohl goutiert und welche nicht. Das alles können Sie tun. Zensur ist also kein Thema, die Meinungsfreiheit nicht in Gefahr.

Schwuler Verräter, feministische Verräterin

Was hingegen wirklich in Gefahr ist, ist die Offenheit der Diskussion. Die Bereitschaft, Ambivalenz zu ertragen. Ein Schwuler, der gegen die Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm Bedenken äussert? Verräter! Eine Feministin, die die gendergerechte Sprache infrage stellt? Ist keine! Ein Mann, der #MeToo kritisiert? Typisch.

Welche Verarmung! Warum schaffen wir es so miserabel, etwas unvoreingenommen von allen Seiten zu betrachten ohne gleich Stempel zu verteilen? Alles werde gut.

Ursula von Arx mag alle Meinungen und Deinungen – nur die nicht, die sie nicht teilt. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im BLICK.

Das Referendum zu Anti-Rassismus-Strafnorm erklärt

Die Anti-Rassismus-Strafnorm soll künftig auch Hass und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung unter Strafe stellen. Dagegen hat ein Komitee das Referendum ergriffen und über 70‘000 Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht. Das müssen Sie über das Referendum gegen «Zensur von Schwulen-Witzen» wissen.

Die Anti-Rassismus-Strafnorm soll künftig auch Hass und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung unter Strafe stellen. Dagegen hat ein Komitee das Referendum ergriffen und über 70‘000 Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht. Das müssen Sie über das Referendum gegen «Zensur von Schwulen-Witzen» wissen.

Alle Abstimmungen auf einen Blick

Die Schweiz stimmt wieder ab: Erklärungen zu allen Initiativen, aktuelle News und prominente Stimmen zum Thema finden Sie hier.

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