Kolumne «Alles wird gut»
Der Tod der anderen

Haben wir es mit den Massnahmen gegen das Coronavirus übertrieben? Ältere Herren und jüngere Zyniker meldeten sich in letzter Zeit in diese Richtung zu Wort. Sie übersehen dabei die Menschlichkeit.
Publiziert: 03.05.2020 um 23:35 Uhr
Ursula von Arx, Autorin.
Foto: Thomas Buchwalder
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Ursula von ArxJournalistin und Buchautorin

Wir befinden uns in Woche 8 des Lockdowns – und immer dringlicher werden die Stimmen jener, die sich Sorgen um die Wirtschaft machen. Wir hätten «den wirtschaftlichen Suizid» gewählt, «um zu verhindern, dass einzelne betagte Menschen das Zeitliche einige Jahre früher segnen, als es unter normalen Umständen zu erwarten wäre», beklagt etwa der vielfache Verwaltungsrat Georges Bindschedler in der «NZZ».

Ebenfalls in der «NZZ» stellt sich der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht die «gewiss schmerzhafte Frage», ob durch den Grundsatz, alle Bürger «gleich und maximal gegen eine Todesgefahr zu schützen», nicht «die Zukunft der jüngeren Generationen aufs Spiel gesetzt» werde.

Ins selbe Horn bläst der Philosoph Ludwig Hasler. Auch er kritisiert, dass zu viel für die Alten getan werde. Er sei 75 und nicht lebensmüde, sagt er, doch «das Leben draussen ausschalten, damit es mich und meine Risiko-Kollegen noch etwas länger gibt?».

Wer spricht denn da?

Es klingt uneigennützig, wenn ältere Herren gegen die Interessen ihrer eigenen Generation und für die Rechte der Jungen reden. Aber darf einer, der selber zu den älteren Semestern gehört, für alle sprechen und die Generationen so gegeneinander ausspielen? Schwingt da weniger Verachtung mit für die Betroffenen als bei den Jungen, die die Pandemie als «Boomer Remover» und Rache an den Alten feiern?

Die Berliner Bloggerin Meike Lobo meint, es sei «einer der natürlichsten und für die Population gesündesten Vorgänge der Welt», dass am Coronavirus «alte Menschen sterben». Und der Comedian Schlecky Silberstein singt «Corona rettet die Welt». Er sieht ausgleichende Gerechtigkeit walten, denn immerhin habe «die Generation 65 plus diesen Planeten in den letzten 50 Jahren voll an die Wand gefahren».

Menschlichkeit verdunstet

Sie alle vergessen, dass das Virus auch bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen tötet oder Asthmatiker oder gesunde junge Menschen. Dass die Pandemie ohne Gegenmassnahmen allein in der Schweiz wohl mindestens 50 000 Tote gefordert hätte. Dass viele ältere Menschen erklärt haben, dass sie im Fall einer Ansteckung auf eine Beatmung verzichten würden. Und vor allem: Dass die Menschlichkeit verdunstet wie Schnee unter der Mai-Sonne, wenn man über das Leben oder den Tod anderer verfügt.

Alles wird gut.

Ursula von Arx ist froh um das baldige Ende des Lockdowns und hofft, dass es gut geht. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im BLICK.

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