Kürzlich habe ich einen Satz gelesen, der mich ziemlich betroffen gemacht hat: «Seit 2011 liegt der Anteil der 18- bis 24-Jährigen, die eine IV-Rente beziehen, höher als bei den 25- bis 65-Jährigen.» Zu lesen war das im Fachmagazin «Schweizer Sozialversicherung». Geschrieben hat dies Stefan Ritler, Leiter IV im Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV).
Zwischen 2009 und 2015 wurden jährlich rund 2000 Personen unter 25 Jahren erstmalig eine IV-Rente zugesprochen. Man muss sich das mal vorstellen oder sich in die Lage dieser jungen Leute versetzen. Dabei handelt es sich laut Forschungsbericht häufig um Menschen mit einer schwierigen Kindheit, geringer Schul- und Berufsausbildung und schweren psychischen Störungen.
Die Übergänge von der Schule zur Berufsbildung und später in den Arbeitsmarkt stellen Jugendliche mit psychischen oder anderen Erkrankungen vor besonders grosse Herausforderungen, wie man sich unschwer vorstellen kann. Deshalb will die IV alles unternehmen, damit junge Menschen nicht als IV-Rentner ins Erwachsenenleben starten. Diese Bemühungen spiegeln den Wandel, den die IV auf dem Weg von der Renten- zur Eingliederungsversicherung durchmacht.
Dies ist nicht bloss eine Absichtserklärung, sondern ein politischer Auftrag. Die entsprechenden Beratungen hat das Bundesparlament unter dem Titel «Weiterentwicklung der IV» in der zurückliegenden Frühjahrssession abgeschlossen. Das Inkrafttreten der gesetzlichen Änderungen ist leider erst für 2022 vorgesehen – zusammen mit Neuerungen betreffend die Geburtsgebrechen und die Einführung eines stufenlosen Rentensystems.
«Je jünger eine Person ist, desto intensiver müssen die Anstrengungen sein, sie einzugliedern», schreibt Vizedirektor Ritler in seinem Artikel. Er schrieb das noch vor Ausbruch der Corona-Krise. Heute, wo zig Lehr- und Studienabgänger sowie andere Jugendliche auf Jobsuche sind, wird die Herausforderung noch grösser sein.
Ich habe so oder so meine Zweifel, ob die Gruppe der psychisch angeschlagenen Mitmenschen die ihr gebührende Aufmerksamkeit erhält. Es fängt schon beim Namen an: Invalidenversicherung. Um den Begriff Mohrenkopf macht man ein riesiges Aufheben. Schon mal überlegt, was invalid überhaupt bedeutet? Es ist das Gegenteil von valid. Invalid heisst nichts anderes als unwert, wertlos. Und niemand scheint sich hierzulande daran zu stören.
In Deutschland gab es auch mal eine Invalidenversicherung. Seit der Rentenrefom von 1957 heisst sie Arbeiterrentenversicherung. Das macht Sinn. Denn der Name Invalidenversicherung ist nicht nur abwertend, sondern auch falsch: Rentenberechtigt sind nicht zwingend Leute mit einem Gebrechen; rentenberechtigt sind Personen, die aufgrund einer psychischen oder physischen Krankheit keiner Erwerbsarbeit nachgehen können.