Ich weiss nicht, ob sie erst sagen «Wow, schön!» oder «Jetzt schon?». Am liebsten würde ich dem Besuch sagen: «Hau du doch ab!» Aber meistens erkläre ich: «Weisch, wir sind eben über Weihnachten nicht da, deswegen möchte ich jetzt schon einen Baum.» Ausserdem gewährt er unserem Adventskalender – der lediglich in Form von 24 in Backpapier verpackten Geschenken darunterliegt – Asyl. Hinzu kommt: Wenn wir schon über Jahre gewachsene Bäume fällen, um sie zu uns in die Stube zu stellen, können wir das ruhig etwas mehr schätzen und sie länger bewundern als bloss zwischen Weihnachten und Neujahr.
Zu dieser Einsicht kam ich die vergangenen zwei Jahre. Vorletztes Jahr besuchte ich Thurgauer Christbaumproduzenten, die alle Josef heissen und mir erklärten, dass längst nicht alle Tannen aus der Schweiz sind. Letztes Jahr begleitete ich eine Nordmanntanne – einen Baum mit Migrationshintergrund, der aber in der Schweiz in der Nähe des Autobahnkreuzes Härkingen SO aufwuchs – vom Schlag im Wald über den Verkauf auf dem Christkindlimarkt bis in die warme Stube in Langenthal BE. Sieht man, wie ein zehnjähriger Christbaum abgeholzt wird, und denkt dabei an das Märchen von Hans Christian Andersen mit dem traurigen Schicksal eines jeden Christbaums, wird man ganz sentimental.
So stattete ich einem Christbaumproduzenten einen Besuch ab und suchte mir ein Bäumlein aus. Ende November. Sie standen da wie bestellt und nicht abgeholt. Und ich bin mir nicht sicher, ob ihnen klar war, dass sie da wohl noch Wochen stehen würden. Ich entschied mich für einen buschigen Baum der Preisklasse 1. «Schweizer Zucht?» – «Jawohl.» Das Aussuchen, der Schwatz mit dem Verkäufer – das alles gehört zum Christbaumkaufen dazu. Kaufen Sie im Netz, was Sie wollen, aber sicher keinen Weihnachtsbaum. Geht es noch abgestumpfter? Apropos abgestumpft – noch etwas: Plastik geht gar nicht! Der Baum muss riechen und sein Leben ein Ende haben, damit wir ihn schätzen.
Wenn ich an manchen Tagen selbst unsicher bin – ob Anfang Dezember nicht doch etwas früh ist für einen Christbaum –, blicke ich morgens mit der Tasse Kafi in der Hand zum beleuchteten und geschmückten Bäumlein rüber und denke: Wow, schön!