Fix zur Gesellschaft
Deine Lippen, deine Lippen sind so ...

Unsere Autorin kriegt vor lauter Lippen den Mund nicht zu. Sie fragt sich: Wie konnte es bloss so weit kommen, dass in so vielen Frauengesichtern Schlauchboote angelegt haben?
Publiziert: 02.11.2019 um 12:14 Uhr
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Aktualisiert: 08.11.2019 um 12:32 Uhr
Alexandra Fitz, stv. Leiterin SonntagsBlick Magazin.
Foto: Thomas Meier
Alexandra Fitz

Ich starre sie an. Natürlich weiss ich, dass man nicht starren sollte. Aber starren gehört quasi zu unserem Kulturgut. Wir haben in diesem Magazin schon ausführlich darüber berichtet: In der Schweiz wird gestarrt, was das Zeug hält, wie Besucher aus dem Ausland immer wieder irritiert feststellen. Ich starre also. Sie wissen ja, wie das ist: Hat man einmal etwas Spannendes, Furchtbares oder total Lächerliches entdeckt, kann man den Blick nicht mehr abwenden. Egal wie schlimm, man schaut trotzdem. So wie die Horror-film-Gucker, die sich die Hände vor das Gesicht halten, aber trotzdem die Finger spreizen.

Die junge Frau vor mir in der Schlange hatte die grössten Lippen, die ich je gesehen habe. Und wenn wir uns überlegen, wie viele Lippen ein Mensch so täglich sieht, ist das schon eine krasse Leistung. Sie waren prall und sahen gleichzeitig weich aus. Sie hoben sich so stark vom Gesicht ab, dass sie wie zwei aufgelegte Bananen wirkten. Ihre Farbe war rosa, ihr Glanz erinnerte an ein schwitzendes Ferkel – ich weiss nicht mal, ob Schweine schwitzen. Ihr Gesicht bestand bloss aus Lippen. Bei ihrer Begleitung wiederholte sich das Ganze, wenn auch etwas dezenter. Wobei dezent hier wahrlich der falsche Ausdruck ist. Sie sahen aus wie Schwestern. Als Schlauchboot 1 Schlauchboot 2 dann aber «Mama» nannte, wurde mein Weltbild kurzzeitig wieder einmal heftig durchgeschüttelt.

Zu viel Hyaluronsäure sieht man nicht nur in der Supermarktschlange. Man sieht sie im Tram, auf der Strasse und in der Sendung «Bachelor». Als ich letztens reinzappte, kam ich nicht mehr los. Das lag nicht am Inhalt, es lag an den Damen, die alle wie Dagobert Duck aussahen, auch wenn sie Alessia, Debora oder Jovana hiessen. Wenn man den Werbungen und Ärzten glaubt, sind Schlauchbootlippen aber bloss die Spitze des Eisbergs – denn Lippenunterspritzung liegt im Trend. Das heisst also: Viele helfen heute nach, und das auch in jungen Jahren. Mann nennt das dann minimalinvasive Eingriffe. Diese Entwicklung ist besorgniserregend, bedeutet sie doch: Unser Schönheitsideal verschiebt sich, und «normal» und «natürlich» reicht nicht mehr.

Ach, übrigens: Schweine können nicht schwitzen.

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