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ETH-Präsident über die Nähe von Science-Fiction und Wissenschaft
Fakten & Fiktion

Joël Mesot ist Präsident der ETH. Der erste Romand in diesem Amt seit über 100 Jahren. In dieser Kolumne widmet er sich der Verbindung von Wissenschaft und Science-Fiction.
Publiziert: 24.08.2019 um 15:18 Uhr
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Aktualisiert: 19.11.2020 um 22:50 Uhr
Der Physiker Joël Mesot ist Präsident 
der ETH Zürich – der erste aus der 
Romandie seit über 100 Jahren.
Foto: ETH Zürich / Markus Bertschi
Joël Mesot

Johannes Kepler gehört zu den Wegbereitern der modernen Naturwissenschaften. Berühmt ist er für seine Keplerschen Gesetze, in denen er unter anderem entdeckte, dass sich die Planeten auf elliptischen Bahnen um die Sonne bewegen. Weniger bekannt ist, dass Kepler 1608 eine verrückte Geschichte ersann, in der er träumt, dass Menschen mit Hilfe von Dämonen auf den Mond transportiert werden. Kepler war wohl einer der ersten Science-Fiction-Autoren und gleichzeitig ein Grenzgänger zwischen zwei Welten. Zwischen Wissenschaft und Science-Fiction gibt es viele Verbindungen – man kann durchaus sagen, dass diese beiden Welten sich gegenseitig befruchten. So nutzen Autoren dieser Literaturgattung gerne neuste wissenschaftliche Erkenntnisse und Technologien als Inspirationsquelle für ihre Zukunftsentwürfe. Sie erschaffen in ihrer Fantasie das Übermorgen, also eine ferne Zukunft. Die diesjährigen Wissenschaftstage Scientifica der ETH Zürich und Universität Zürich stehen ganz im Zeichen von «Science Fiction – Science Facts».

Ein chinesischer Roboter liest die Nachrichten

Seitdem die Bilder laufen gelernt haben, sind nebst der Literatur auch viele tolle Science-Fiction-Filme entstanden. Der humanoide Roboter «Maria» in Fritz Langs Klassiker «Metropolis» von 1927 nimmt eine

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Entwicklung vorweg, die in ­unserem Alltag allmählich ankommt. So lässt beispielsweise die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua bereits einen Roboter, der seinem menschlichen Original auf den ersten Blick täuschend ähnlich ist, die Nachrichten sprechen. Im Science-Fiction-Film «Eine phantastische Reise» von 1966 fährt ein auf Mikrobengrösse geschrumpftes U-Boot durch die Blutbahnen eines Menschen, um ein Blutgerinnsel zu entfernen. Auch hier ist die Forschung der Fiktion dicht auf den Fersen. So ist es beispielsweise ETH-Forschenden gelungen, Mikro- und Nanoroboter, die bis zu 1000-mal kleiner sind als ein menschliches Haar, mit Hilfe eines Magnetfelds durch Modell-Organismen zu steuern. Das Fernziel hier: Zwergroboter führen minimalinvasive Operationen im Auge durch und transportieren Medikamente im menschlichen Körper punktgenau an den Ort, wo sie gebraucht werden. Es gäbe noch viele Beispiele, wo die Realität nahe an die Fiktion herangekommen ist oder diese gar überholt hat.

Liebe Jules Verne als alternative Fakten

Sind also Wissenschaft und Science-Fiction am Ende nur zwei Seiten der gleichen Medaille? – Nein, das dann doch nicht. Auch wenn es gewisse Parallelen und spannende Beziehungen zwischen diesen Sphären gibt, so sind es doch verschiedene Welten mit ihren je eigenen Gesetzen. Science-Fiction schöpft aus der vollen dichterischen Freiheit, Wissenschaft ­gehorcht bestimmten Regeln für den Erkenntnisgewinn. Was Forschende produzieren und woran sie sich messen lassen müssen, sind reproduzierbare Fakten, die definierte Prozesse durchlaufen. Theorie, Beobachtung, Experiment und – in der neueren Forschungswelt – die Modellierung sind Herangehensweisen, aus denen wissenschaftliche Erkenntnisse hervorgehen. Wer diese Regeln ignoriert, verlässt die Wissenschaft und landet im schlimmsten Fall bei den «alternativen Fakten». Da lass ich mich viel lieber von Jules Verne & Co. auf eine fantastische Reise auf den Mond mitnehmen.


Ihr Joël Mesot

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