ETH-Präsident Joël Mesot über Politikberatung
Wenn die Wissenschaft die Politik berät

Joël Mesot ist Präsident der ETH. Der erste Romand in diesem Amt seit über 100 Jahren. In dieser Kolumne widmet er sich der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik.
Publiziert: 02.11.2019 um 14:40 Uhr
Joël Mesot, Präsident der ETH.
Foto: ETH Zürich / Markus Bertschi
Joël Mesot

Es war eine Überraschung an einem an Überraschungen reichen Tag: Die Präsidentin der Grünen, Nationalrätin Regula Rytz, zauberte am Abend des Wahlsonntags in der «Elefantenrunde» des Schweizer Fernsehens den Vorschlag eines Klimagipfels mit der Wissenschaft aus dem Hut. Die Parteispitzen und Klimaforschenden sollten mit Blick auf die Umsetzung der Ziele von Paris gemeinsam eine Lagebeurteilung vornehmen.

Was sich nun im Nachgang zur «Klimawahl» vom 20. Oktober anbahnt, ist eine seit Jahren etablierte Praxis, die im Fachjargon als evidenzbasierte Politikberatung bezeichnet wird. Was ist darunter zu verstehen, wo liegt ihre Bedeutung und wo liegen allenfalls auch Fallstricke im Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik?

Politikberatung als Grundlage zur Entscheidungsfindung

Klimawandel, Genforschung, Künstliche Intelligenz: Die Themen, welche die Politik verarbeiten muss, nehmen zu und werden komplexer. Sich auf Expertenwissen zu stützen, um Chancen und Risiken einer Entwicklung abzuwägen und faktenbasiert zu entscheiden, ist deshalb eine wichtige Ressource für die Politik. Die Formen der Politikberatung sind vielfältig; Anhörungen in einer parlamentarischen Kommission gehören ebenso dazu wie Studien oder Dialogplattformen wie zum Beispiel das Forum «ProClim».

1988 von der Akademie der Naturwissenschaften ins Leben gerufen, organisiert das Forum Veranstaltungen, publiziert Berichte und unterhält eine umfassende Datenbank mit Fachleuten zu den Themen Klima, Umwelt und Energie. Politikberatung liefert Grundlagen zur Entscheidungsfindung. Sie kann helfen, Politik effizienter zu machen.

So arbeiten ETH-Politikwissenschaftler etwa mit dem Staatssekretariat für Migration zusammen, um die Zuteilung von Asylsuchenden auf die Kantone zu optimieren. In einer ersten Studie haben die Forschenden zeigen können, dass ihre auf maschinellem Lernen beruhende Methode die Jobchancen für Asylsuchende um 30 Prozent erhöht. Wenn sich die Resultate in der laufenden Feldstudie bestätigen, gewinnen nicht nur die Betroffenen, sondern auch der Bund, die Kantone und Gemeinden, die im Asylbereich Geld einsparen können.

Wissenschaft und Politik sind zwei Paar Schuhe

So unverzichtbar der Dialog zwischen Wissenschaft und Politik auf Augenhöhe auch ist, so gilt es, Unterschiede zwischen beiden Welten anzuerkennen. Sie unterscheiden sich zum einen in ihren Denkweisen, zum andern in den Geschwindigkeiten der Prozesse. Während sich die Politik stark an Legislaturperioden orientiert, reifen wissenschaftliche Erkenntnisse oft erst in der langen Frist. Die wissenschaftliche Beratung denkt in Szenarien. Die Politik interessiert zusätzlich, was gesellschaftlich akzeptiert und finanziell machbar ist.

Politikberatung muss Fakten, deren Interpretation und mögliche Handlungsoptionen voneinander trennen sowie ihre Annahmen transparent machen. Zentral ist, dass die Wissenschaft durch keine Denkverbote eingeengt wird und in ihrer Rolle als Beraterin unabhängig bleibt.

Das schliesst aus, dass sie sich vor den einen oder anderen Karren spannen lässt. Sie ist Dienstleisterin, die Entscheide bleiben demokratisch gewählten Politikerinnen und Politikern oder – in letzter Instanz – dem Stimmvolk vorbehalten. Im Idealfall fallen diese Entscheide in Kenntnis der wichtigsten Fakten und in Abwägung aller Vor- und Nachteile. Auch in der Klimapolitik.

Ihr Joël Mesot

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