ETH-Präsident Joël Mesot über Innovationen in der Baubranche
Das Bauen neu denken

Joël Mesot ist Präsident der ETH. Der erste Romand in diesem Amt seit über 100 Jahren. In dieser Kolumne widmet er sich der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik.
Publiziert: 16.11.2019 um 13:21 Uhr
Joël Mesot, Präsident der ETH.
Foto: ETH Zürich / Markus Bertschi
Joël Mesot

Wer heute eine Baustelle betritt, stösst zwischen Kranen, Betonmischern und Armierungseisen immer noch auf viel Handarbeit. Wo die Digitalisierung in anderen Industriezweigen schon sichtbar Einzug gehalten hat, scheint sich in der Bauindustrie nur wenig verändert zu haben. Der Schein trügt allerdings, denn die Art und Weise, wie wir Häuser bauen, verändert sich stark.

Angetrieben wird der Wandel einerseits von digitalen Technologien und anderseits von Innovationen bei den Materialien. So gibt es in Zug Pläne für ein 80 Meter hohes Holzwohnhaus. Dessen Böden werden aus einem Holz-Beton-Verbundbauteil bestehen, das die ETH zusammen mit der Wirtschaft entwickelt hat. In einem von Innosuisse geförderten Projekt versucht man, Bauholz durch Mineralisierung weniger brennbar zu machen.

Holz ist nicht nur «heimelig», sondern auch innovativ

Einem Team der ETH, Empa und der Universität Stuttgart ist es kürzlich zusammen mit einer Schweizer Holzbaufirma gelungen, Holzelemente so zu «programmieren», dass sie sich ohne äussere Krafteinwirkung in eine vordefinierte Form biegen. Holz ist somit nicht nur «heimelig», wie uns der Volksmund nahelegt, sondern ein Baumaterial, zu dem viel geforscht wird.

Bauen muss klima- und ressourcenschonender werden. Mit rund einem Viertel aller CO2-Emissionen der Schweiz schlägt der Gebäudesektor zu Buche. Dabei geht es nicht nur darum, das Heizen und Kühlen bestehender Häuser im Betrieb zu dekarbonisieren, sondern den Material- und Energieverbrauch schon vor und während des Bauens zu reduzieren. Eine Forschungsarbeit verfolgt – zusammen mit Industriepartnern – das Ziel, die CO2-Emissionen der Zementproduktion durch Beimischung verschiedener Stoffe um bis zu 50 Prozent zu reduzieren.

Gewicht- und Materialeinsparungen von bis zu 70 Prozent

Kies und Sand als Zuschlagstoffe für Beton – das am meisten verwendete Baumaterial – schwinden weltweit. Lehm rückt deshalb als Baustoff vermehrt in den Fokus. So entwickelt beispielsweise das ETH-Spin-off Oxara ein Verfahren, um lehmhaltiges Aushubmaterial ohne Zugabe von Zement in einen alternativen Beton zu verwandeln.

Ein weiterer Forschungsansatz an der ETH zielt auf eine Verschlankung von tragenden Strukturen wie Böden ab, die bei Hochhäusern einen Grossteil der verbauten Masse ausmachen. Dank einer computergestützten Entwurfsmethode lassen sich stabile Böden aus rezykliertem Beton erstellen, die ohne einbetonierte Armierungseisen auskommen und gegenüber konventionellen Böden bis zu 70 Prozent leichter sind.

Viel Potenzial und «made in Switzerland»

Sie sind Teil einer experimentellen Wohneinheit, die zurzeit auf der «Nest»-Plattform an der Empa in Dübendorf entsteht. Dieses HiLo genannte Modul wird ein gewelltes und ultradünnes Betondach erhalten und bei Fertigstellung ein echter Hingucker sein. Bereits seit Anfang 2019 ist das dreigeschossige DFAB-House in Dübendorf ZH in Betrieb. Digital geplant, wurde es mithilfe von Robotern und 3D-Druckern auch weitgehend digital gebaut.

Viele der erwähnten Beispiele von Bauinnovationen müssen ihre Markttauglichkeit erst noch unter Beweis stellen. Und eine Patentlösung, die sowohl für Zürich wie auch für Singapur und Dschibuti passt, gibt es nicht. Dennoch tut sich enorm viel im Bereich des digitalen und nachhaltigen Bauens. Und die gute Nachricht dabei ist, dass die Lösungsansätze «made in Switzerland» neue Chancen bieten für KMU und die hiesige Industrie.

Ihr Joël Mesot

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