ETH-Präsident Joël Mesot über die Rechner der Zukunft
Quantensprung ins Unbekannte

Joël Mesot ist Präsident der ETH. Der erste Romand in diesem Amt seit über 100 Jahren. In dieser Kolumne widmet er sich der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik.
Publiziert: 30.11.2019 um 15:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.11.2019 um 15:41 Uhr
Joël Mesot, Präsident der ETH.
Foto: ETH Zürich / Markus Bertschi
Joël Mesot

Es herrscht Unruhe in der Community: Google hat vor kurzem verkündet, «Quantenüberlegenheit» erreicht zu haben, und seitdem diskutiert die Wissenschaft angeregt über die Tragweite dieser Meldung. Was ist passiert?

Google hat einen Quantencomputer gebaut, mit dem es gelang, eine spezielle Rechenaufgabe um Welten schneller zu lösen, als selbst die mächtigsten Superrechner es könnten – 200 Sekunden statt 10'000 Jahre, sagt Google. Es gibt zwar auch skeptische Stimmen, welche die Erfolgsmeldung relativieren, aber unter Fachleuten herrscht weitgehend Konsens darüber, dass hier ein wichtiger Meilenstein erreicht worden ist auf dem – langen – Weg zum Quantencomputer.

Revolution der Physik

Das Quantencomputing ist zurzeit wohl der sichtbarste Teil der Quantenwissenschaften, aber eben nur ein Teil. Die Grundlagen dazu wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelegt – und klingende Namen der Wissenschaftsgeschichte wie Max Planck, Albert Einstein oder Erwin Schrödinger haben dazu beigetragen.

In dieser Pionierzeit fand man heraus, dass sich zum Beispiel Licht gleichzeitig wie ein Teilchen und wie eine Welle verhalten kann oder dass die Elektronen in einem Atom nur ganz bestimmte Energien haben können. Kurzum, in der geheimnisvollen Welt der kleinsten Teile gelten andere Gesetze als in der klassischen Physik. Dies war eine Revolution in der Physik.

Eine zweite folgte dann, als man Ende des 20. Jahrhunderts begann, sich die Quantengesetze für technologische Anwendungen zunutze zu machen, von abhörsicherer Kommunikation über höchstempfindliche Sensoren bis eben zu einer komplett neuen Art von Computern.

Das Potenzial ist gewaltig

Aber der Sprung aus der Welt der Atome und Elektronen zu handfesten Geräten ist eine gewaltige Herausforderung. Gewaltig ist ebenso das Potenzial. Ein Quantencomputer wird den klassischen Computer zwar nicht ersetzen, aber er wird diesen in wichtigen Anwendungen ergänzen, wo heute und in absehbarer Zukunft die Rechenleistung schlicht nicht ausreicht. Beispielsweise zur Bewältigung grosser Datenmengen in der Materialforschung oder bei der Entwicklung neuer Medikamente oder von Düngemitteln.

Die ganze Welt der grossen IT-Konzerne – von Google über IBM bis Microsoft – und viele Staaten liefern sich einen Wettstreit darüber, wer zuerst einen Quantencomputer entwickelt, der über das Stadium eines Prototyps hinausgeht. Manche wittern das grosse Geschäft, andere die wissenschaftlichen Meriten, die es zu gewinnen gibt.

Master in Quantum Engineering

Auch an Universitäten herrscht Aufbruchstimmung. Mit rund 20 Professuren, die auf dem Gebiet forschen, ist die ETH ein Powerhouse der Quantenwissenschaften. Um die Kompetenzen weiter zu verstärken, haben wir soeben ein Zentrum für Quantenwissenschaft und -technologie gegründet. Seit diesem Herbst führen wir – wohl als erste Hochschule – einen Master in Quantum Engineering im Programm, um die Brücke zu schlagen zwischen Ingenieurs- und Naturwissenschaften.

In der Physik sind Quantensprünge kleinste Veränderungen des Energiezustands von Elektronen im Atom. Der Volksmund verbindet mit dem Quantensprung hingegen einen riesigen Fortschritt. Ich glaube als Physiker daran, dass Quantentechnologien uns einen solchen ermöglichen werden. Der Google-Durchbruch lässt uns schon mal an der Zukunft schnuppern.

Ihr Joël Mesot

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