Was machen heute wohl meine Studienkollegen und WG-Genossen Jacques und Étienne? Mitte der 1980er-Jahre kam ich von Genf nach Zürich an die ETH, um Physik zu studieren, und war überrascht, wie schnell sich hier Kontakte knüpfen liessen. Vielleicht, weil wir Studienanfänger in ein besonders anspruchsvolles Lernumfeld geworfen wurden. Die Anforderungen, das wurde uns gleich vermittelt, waren streng, und alles war für mich neu: natürlich das Niveau des vermittelten Stoffes, die Stadt und zu einem guten Teil auch die Sprache.
Rasch wurde mir klar: Fast alles lässt sich meistern, wenn man es gemeinsam angeht. Lernen und Prüfungen vorbereiten, Erfolge feiern, eine Wohnung in Schuss halten, Misserfolge verschmerzen (ja, auch das gab es bei mir) und nicht zuletzt dringend benötigte Auszeiten geniessen, etwa beim Sport in den Bergen. Hochschulen waren immer schon mehr als nur Lehranstalten, nämlich soziale Netzwerke avant la lettre, nur authentische. Kurz: Orte, die sich ausgezeichnet eignen, um das Leben einzuüben.
Freunde fürs Leben
Was man zusammen erlebt, verbindet. Auch wenn das Band später lockerer wird, es reisst nicht. Schon die ältesten Universitäten, zum Beispiel Oxford und Cambridge, pflegten ab dem 13. Jahrhundert die Idee der lebenslangen Bindung ihrer Alumni (lateinisch für «Zöglinge»). Ihre moderne, ja professionelle Ausprägung erhielten Alumni-Netzwerke dann zu Beginn des 19. Jahrhunderts von prestigeträchtigen US-Universitäten wie Yale, Harvard oder Princeton. Diese erkannten früh, dass die Tausenden von Ehemaligen als Fachleute nicht nur eine zentrale Ressource für Wirtschaft und Gesellschaft darstellen. Sondern dass sie ihrer Institution auch viel zurückgeben können: Renommée – und nicht zuletzt finanzielle Unterstützung.
Eine Verbindung mit Persönlichkeiten
In den letzten Jahrzehnten haben die Schweizer Universitäten ihre Ehemaligen-Netzwerke zügig dem Goldstandard der angelsächsischen Vorbilder angenähert. «Meine» ETH Alumni-Vereinigung – sie feiert in diesem Jahr den 150. Geburtstag – ist heute ein gut geöltes Beziehungsgeflecht, das unter anderem mit Coachings wichtige berufliche Starthilfe leistet. Es umfasst über 30 000 aktive Mitglieder; etwa so viele, wie Zug oder Neuenburg Einwohner haben.
Und so vielfältig wie diese Städte sind auch die Persönlichkeiten, die aus der ETH hervorgegangen sind. Zum Beispiel WEF-Gründer Klaus Schwab, Unternehmer Jörg Sennheiser oder Bundeskanzler Walter Thurnherr. Oder die Nobelpreisträger Richard Ernst und Kurt Wüthrich, die Architekten Jacques Herzog, Pierre de Meuron und Tilla Theus, der Kabarettist Fabian Unteregger sowie die Olympiasiegerin Dominique Gisin. Die Liste lässt sich beliebig verlängern. Ihnen gemein ist das Rüstzeug, das die ETH liefert: die Lust und Kompetenz, Neues und Bemerkenswertes zu schaffen, zum Nutzen von Wirtschaft und Gesellschaft. Das gilt auch für meine Studienfreunde Jacques und Étienne. Beide haben spannende Wege beschritten, der
eine als IT-Experte, der andere
als Robotik-Wissenschaftler.
Ich schätze mich glücklich, diesem Kreis anzugehören.