Weil der Kapitalismus sein Glücksversprechen zwar immer noch nicht eingelöst, aber glaubwürdig gesteigert hat. Wir leben heute in der festen Überzeugung, dass jeder und jedem eine bildschöne Partnerin oder ein bildschöner Partner, eine riesige Neubauwohnung, ein tolles Auto, regelmässige Luxusferien, jedes Jahr ein neues Handy und eine unablässig mit frischen Klamotten geflutete Garderobe zustehen. Und zwar im Sinne eines Grundrechtes. Früher begehrten wir diese Dinge – heute sind wir beleidigt, wenn sie nicht automatisch da sind. Verantwortlich dafür sind nicht nur die Banken, die schamlos mit Hypotheken, Leasingverträgen und Kleinkrediten wedeln und den Überfluss ja tatsächlich ermöglichen, sondern auch die sozialen Medien, die einem vermitteln, dass die Menschheit aus attraktiven Multimillionären besteht, die mit ihren artigen Kindern in der Südsee leben und so gut essen, dass man von jeder Mahlzeit ein Foto machen kann. Daran messen wir uns: am Schein, dem wir ausgesetzt sind, wenn wir online sind. Also von früh bis spät. Wir vergleichen uns den ganzen Tag mit Menschen, die offenbar alles haben. Ausser Sorgen.
Das gibt uns ein Gefühl von Mangel und Rückstand und bestätigt unsere tiefschürfende Angst, nicht zu genügen. Es ist kein Wunder, dass wir darüber immer egoistischer werden: Wir glauben, uns in einem Massenrennen zu befinden, an dessen Ziel Glück und Wohlstand auf uns warten – aber nicht auf uns als Gesellschaft, sondern nur auf einige Individuen. Die einen werden es schaffen, die anderen werden am Strassenrand liegen bleiben und sind selber schuld, weil sie halt nicht schön/schlau/talentiert/fleissig/entschlossen genug waren. Wir sehen nur noch Gewinner und Verlierer – und einen Staat, der alles zahlen soll, aber nichts dafür verlangen darf. Es ist keine gute Entwicklung.