Russland zerstört die Ukraine, und der Bundesrat tut so, als ginge ihn das gar nichts an. Er spricht von Neutralität und unterschlägt die zentrale Rolle, die unser Land im System Putin spielt.
Catherine Belton war Moskauer Korrespondentin der britischen «Financial Times». Sie hat ein Buch geschrieben, das schon im Titel an Klarheit nichts zu wünschen übrig lässt: «Putins Netz. Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste». Der Kern von Beltons soeben auf Deutsch erschienenem 600-Seiten-Werk: Nachdem Präsident Boris Jelzin Russland in den 1990er-Jahren mit seinen überstürzten Liberalisierungen ins Chaos gestürzt hatte, riss ein Netzwerk ehemaliger Agenten des sowjetischen Geheimdienstes KGB die politische und wirtschaftliche Macht an sich. Wladimir Putin, einst KGB-Mann in der DDR, ist Kopf der Bande. Ihm und den Seinen geht es um persönliche Bereicherung einerseits – und ums Wiedererstarken ihres Landes als grosser Widersacher Europas und der USA andererseits.
Treibstoff dieser gewaltigen Maschine sind Russlands Rohstoffe. Die Erträge aus dem Handel mit Gas und Öl füllen die schwarzen Kassen von Putins KGB-Clique, ermöglichen dieser die Erfüllung ihrer persönlichen und strategischen Ziele.
Die Schweiz agiert als ebenso verlässliche wie verschwiegene Basis dieser Operation.
Beispiel Nord Stream 1: Seit elf Jahren befördert die Firma mit Sitz in Zug russisches Gas nach Europa. Zu 51 Prozent gehört Nord Stream 1 Russlands grösster Erdgasgesellschaft Gazprom – über die Catherine Belton schreibt: «Putin hatte Gazprom zu seinem persönlichen Lehnsbesitz gemacht, seinem Eigentum, das er sowohl als geopolitisches Instrument zur Manifestation der Macht des Kreml nach aussen als auch als Geldquelle für seinen inneren Zirkel nutzte.»
Beispiel Gunvor: Das Unternehmen mit Sitz in Genf wurde von einem ehemaligen KGB-Agenten mitbegründet. Aus dem Nichts avancierte Gunvor in den Nullerjahren zum drittgrössten Ölhändler der Welt; aktuell ist es Platz vier. Das US-Finanzministerium hielt 2014 sehr vorsichtig fest: «Putin ist in Gunvor investiert und hat möglicherweise Zugang zu Gunvor-Geldern.»
Beispiel RosUkrEnergo: Die 2015 liquidierte Firma mit Sitz in Zug verkaufte Erdgas an die Ukraine und andere Staaten. Catherine Belton bezeichnet RosUkrEnergo als Putins «Bestechungsfonds, der als Werkzeug für politischen Einfluss verwendet werden konnte: um Beamte zu korrumpieren und zu kaufen und auf diese Weise die Demokratie in Russlands Nachbarstaaten zu untergraben. Es war zentral für die Aktivitäten von Putins KGB-Regime.»
Genf und Zug gehören zu den wichtigsten Drehscheiben für den Welthandel mit Öl und Gas. Die Steuergesetze sind lasch, die Regulierung erst recht. 2016 stellten die Akademien der Wissenschaften Schweiz in ihrem Bericht über den Rohstoffhandel fest: «Ein zentrales Problem ist der Mangel an Transparenz. Die Schweiz führt keine Statistiken zu Ursprungs- und Zielländern, den einzelnen Rohstoffen, den beteiligten Unternehmen, einzelnen Zahlungen (z. B. an ausländische Regierungen).» Mit anderen Worten: Putins Leute können hierzulande schalten und walten, wie sie wollen.
Daran änderten auch die Sanktionen von USA und EU nichts, die 2014 nach dem russischen Einmarsch in der Krim gegen Personen sowie Unternehmen aus Putins Umfeld verhängt wurden. Seit damals ist die Schweiz für den Präsidenten sogar noch wichtiger geworden. Gemäss Angaben der Nationalbank stieg der Kapitalbestand russischer Direktinvestitionen in der Schweiz von acht Milliarden Dollar anno 2014 auf 29 Milliarden vier Jahre später. Russland habe sich zu einem bedeutenden Investor entwickelt, hält die SNB fest. Wohin das Geld geflossen ist, kann oder will niemand sagen. Überhaupt fällt bei den Anfragen an die Nationalbank, ans Staatssekretariat für Wirtschaft und ans Staatssekretariat für internationale Finanzfragen auf: Man weiss dort so gut wie nichts. Und hat allem Anschein nach auch kein Interesse, daran etwas zu ändern.
So viel aber wissen wir dann eben doch: Die Schweiz ist im Krieg gegen die Ukraine nicht neutral. Sie ist brutal loyal gegenüber dem Aggressor Wladimir Putin.
Ergänzung zu diesem Artikel:
Der Mitgründer von Gunvor, Herr Gennadi Timtschenko, meldet sich bei SonntagsBlick. Er bestreitet, ein KGB-Agent gewesen zu sein.