Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Simonetta Sommaruga ist keine Grüne

Die neue Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga erklärt 2020 zum Jahr der Energiewende. Bevor es losgeht, soll an dieser Stelle ein grosses Missverständnis geklärt werden: Die Umweltpolitik von Grünen und SP unterscheidet sich fundamental.
Publiziert: 14.12.2019 um 23:33 Uhr
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Aktualisiert: 15.12.2019 um 13:31 Uhr
Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick
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Bundeshaus am Mittwoch: Vereidigung des Bundesrates. Zuvor wurde Simonetta Sommaruga (59, 3. v. l.) mit 183 Stimmen zur Bundespräsidentin gewählt. Im Fokus ihres Präsidialjahres steht die Energiewende.
Foto: keystone-sda.ch

Worin besteht der Unterschied zwischen Grünen und SP? Die Politbeobachter bekunden derzeit auffallend Mühe, diese Frage zu beantworten. Selbst Christian Levrat leidet an dieser Wahrnehmungsschwäche: «Wir haben bei den Wahlen verloren, weil wir das Wort ‹grün› nicht im Parteinamen haben», sagt der SP-Präsident. «Tatsächlich aber sind wir die älteste grüne Partei.»

Grün oder SP, Hans was Heiri – alles nur Wortklauberei?

Simonetta Sommaruga, SP-Bundesrätin und Umweltministerin, macht im Interview mit SonntagsBlick deutlich, wie gewaltig die Unterschiede zwischen den beiden Parteien in Wirklichkeit sind. Grün oder SP: Es geht um nichts weniger als um den intellektuellen, ebenso wie um den emotionalen Zugang zur Welt.

Sommaruga amtet 2020 als Bundespräsidentin. Ihr Präsidialjahr will sie dem Kampf gegen den Klimawandel widmen. Gemeint ist die Abkehr von fossilen Brenn- und Treibstoffen. Heizöl und Benzin sollen durch Solarenergie ersetzt werden. So weit, so ökologisch. Sommaruga sagt aber auch Sätze wie: «Wir müssen nicht verzichten.» Oder: «Wir machen Menschen keine Vorschriften.»

So spricht kein Grüner.

Klar: Die Bernerin ist eine Strategin, wie es sie in der Bundespolitik kein zweites Mal gibt. Setzt sie sich ein Ziel, hat sie den Weg immer schon im Auge. Und bei der bürgerlichen Mehrheit im Bundesrat kommt man mit einer Politik des Verzichts nun einmal nicht weit.

Sommaruga plant die Energiewende, indem sie die Bauern ins Boot holen und aus ihnen Solarstromproduzenten machen möchte. Sie lockt mit Aufträgen fürs Gewerbe. Dagegen können CVP, FDP und SVP kaum etwas einwenden.

Und doch steckt hinter Sommarugas Absage an den Verzicht mehr als Kalkül. Wir
begegnen hier dem alten Fortschrittsideal der Sozialdemokratie. Die SP ist eine materia­listische, eine zukunfts- und technikgläubige Partei. In ­ihrem Gründungsprogramm aus dem Jahre 1889 steht, wie die «Verbesserung und Beherrschung der Maschinen» zum Wohle der Menschheit beitragen kann – dieser Optimismus hallt bis heute nach.

Die Grünen sind das genaue Gegenteil. Sie sind eine konservative, antimaterialistische und im Prinzip sehr pessimistische Bewegung. Ihr Antrieb ist die Angst, ihr Ideal der Verzicht.

Es ist die Angst vor der Klimakatastrophe, die den Grünen zum Wahlsieg verholfen hat. Und doch will die Politik die drohende Katastrophe jetzt mit einer optimistischen Grundhaltung und den Rezepten des Materialismus abwenden. Hat Sommaruga
Erfolg mit ihrem Plan für eine Energiewende und geht es in den kommenden vier Jahren spürbar vorwärts mit dem Ausbau der Solarstromproduktion – dann scheint zumindest für die Schweizer Sozialdemokratie bei den nächsten Wahlen womöglich ja wieder die Sonne.

Scheitert dieses Vorhaben jedoch, stehen wir alle ein grosses Stück näher am Abgrund.

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