Die Schweizer Wirtschaft steht im internationalen Vergleich hervorragend da. Das ist eine gute Nachricht in der schlechten. Denn natürlich reisst Corona auch hierzulande vieles nieder. Die Arbeitslosigkeit steigt, Meldungen über Massenentlassungen erreichen uns beinahe täglich. Etwa 900'000 Menschen stehen in Kurzarbeit.
Angesichts solcher Nachrichten ist es töricht, wenn das Staatssekretariat für Wirtschaft, das Seco, von einer «allmählichen Erholung der Wirtschaft» spricht. Und es ist nur zynisch, wenn das Amt diese angebliche Erholung jetzt zum Anlass nimmt, die Corona-Staatshilfen zurückzufahren.
Das Seco ist dafür verantwortlich, dass Temporärkräfte und Angestellte auf Abruf ab übermorgen Dienstag keinen Anspruch mehr auf Kurzarbeitsentschädigung haben. Damit droht auf einen Schlag 20'000 Beschäftigten – namentlich in Gastronomie und Tourismus – die Erwerbslosigkeit.
Warum lässt der Bund gerade diese Menschen als erste fallen? Beim Seco mag man den Freihandel und grosse internationale Firmen, die mit wenig Personal eine hohe Wertschöpfung erzielen. Das macht sich eben toll in internationalen Vergleichen der Wettbewerbsfähigkeit, der Lieblingsdisziplin weltfremder Ökonomen.
Die Temporärangestellten hingegen stehen in dieser Weltsicht auf der untersten Stufe: Wer schlecht verdient, trägt wenig zum Bruttoinlandprodukt bei – und ist für das Staatssekretariat für Wirtschaft weniger wert.
Corona begann als Krankheit und infizierte dann die Wirtschaft. Nun greift die Pandemie auf weitere Bereiche in Staat und Gesellschaft über. Auch dort wird es die Schwächsten am härtesten treffen. Wie sagte der deutsche Arzt und Politiker Rudolf Virchow vor über 150 Jahren? Eine Seuche ist ein soziales Phänomen mit einigen medizinischen Aspekten.
Da die Wirtschaft darbt, bereiten sich die Gemeinden auf Steuerausfälle vor. Kriens LU schnürt ein Sparpaket, Suhr AG ebenso. Die Stadt Bern kürzt das Budget 2021 um 1,6 Millionen Franken. Und St. Gallen hat bereits gezeigt, wo’s langgeht: Im Rahmen einer ersten Corona-Sparrunde hat der Stadtrat der Schule Mittel gestrichen.
Auch die Credit Suisse nennt in einer am Montag publizierten Studie unter der Rubrik Kürzungsmöglichkeiten bei der öffentlichen Hand an erster Stelle: die Bildung.
Die Gemeinden sind in Gefahr, in der Corona-Krise einen Weg zu beschreiten, auf den einige von ihnen vor einiger Zeit schon eingeschwenkt sind. Vor zehn Jahren standen in der Stadt Bern pro Schüler 733 Franken zur Verfügung, 2019 waren es 579 Franken. Heute tummeln sich in gewissen Primarschulklassen bis zu 28 Kinder. In Pfäffikon SZ wird die Klage über Klassen mit 27 Kindern gleichfalls laut. In einem im Juni verschickten Papier warnt der Dachverband der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer vor genau dieser Entwicklung.
Es geht nicht bloss darum, dass bei solch engen, überdimensionierten Klassen im Corona-Fall rasch Hunderte daheim bleiben müssen. Es geht vor allem darum, dass hier schulische Laufbahnen vorsätzlich verbaut werden. Dass jene Kinder benachteiligt werden, deren Eltern die Lerndefizite daheim nicht auffangen können.
Etwa, weil diese Eltern einst selber keine gute Schule besuchen durften. Oder weil es schlicht nicht stimmt, dass sich die Wirtschaft derzeit so wunderbar erholt. Und die Erwachsenen vor lauter Sorgen um die Existenz keine verständigen Hauslehrer sein können.