Die Unabhängigkeit der Schweiz gilt als die heiligste Kuh im Stall. Dass dieses liebe Vieh ziemlich ausgemergelt ist und kaum mehr Milch gibt, ahnen die meisten – bloss wahrhaben wollen sie es nicht. Niemand macht die Lampe an, um nachzuschauen, wie es um die Kuh genau bestellt ist. Im Gegenteil: Die Mehrheit der Politiker verriegelt lieber die Stalltür, damit kein klärendes Licht hineindringt. Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss.
Das ist der erste Grund, warum man in Bundesbern kein Interesse an einer vertieften Debatte über das Rahmenabkommen mit der EU bekundet. Es liegt weniger am Vertrag selbst als an der Tatsache, dass man
dem Stimm- und Wahlvolk eingestehen müsste, wie abhängig die Schweiz schon heute von Europa ist.
Der andere Grund ist die SVP. Die Partei hat sich breitbeinig vor der Behausung unserer heiligen Kuh aufgetürmt. Wehe dem, der sich der Stalltür nähert! Wer eine differenzierte Debatte über die Stellung der Schweiz in der Welt führen möchte, muss mit einem Shitstorm rechnen. So wie meine Kollegen Reza Rafi und Simon Marti, die im aktuellen SonntagsBlick über die neusten Entwicklungen in Sachen Rahmenvertrag
informieren.
Ebenfalls um Geld, Propaganda und die Abhängigkeit der Eidgenossenschaft vom Ausland geht es in einem weiteren Artikel im neuen SoBli. Im Herbst hat das Parlament das neue CO2-Gesetz verabschiedet. Ziel der Vorlage ist mehr Klimaschutz, ihre wichtigsten Instrumente sind ein tieferer Heizölverbrauch und die Förderung heimischer Energieträger. Dagegen hat Avenergy das Referendum ergriffen; besser bekannt ist die Organisation unter ihrem alten Namen Erdölvereinigung. Wichtige Mitglieder sind die Schweizer Ländergesellschaften der Ölkonzerne BP aus Grossbritannien, Socar aus Aserbaidschan, Shell aus Holland, Tamoil aus Libyen.
Auch ist es bekanntlich nicht so, dass das schwarze Gold aus helvetischem Boden sprudelt. Der Grossteil des in Schweizer Haushalten verheizten Brennstoffs stammt aus Kasachstan, Nigeria und Libyen.
Über das CO2-Gesetz abgestimmt wird zwar erst Mitte Juni. Doch wie SonntagsBlick-Reporter Sven Zaugg berichtet, hängen bereits jetzt an vielen Strassen Nein-Plakate mit teilweise abenteuerlichen Behauptungen. Vor Postschaltern gibts Bildschirmwerbung, in den Lokalzeitungen auf dem Land erscheinen Inserate. Tamoil und Co. verfügen über genügend Geld für eine gut geschmierte Kampagne.
Als einzige Bundesratspartei lehnt die SVP das CO2-Gesetz ab. An einer Medienkonferenz diese Woche stellten sich ihre Vertreter auf die Seite der internationalen Ölkonzerne und warben mit Feuereifer für ein Nein. Die gleiche SVP, die sich die Unabhängigkeit des Landes auf ihre Fahne geschrieben hat, kämpft für Abhängigkeit von Kasachstan, Nigeria oder Libyen.
Plötzlich ist ihr die heilige Kuh nicht mehr so heilig. Vielleicht wollen gewisse Politiker besagte Stalltür ja auch bloss geschlossen halten, damit kein Verwesungsgeruch nach aussen dringt. In jedem Fall stinkt die Sache gewaltig.