Hat Sie die Klimakonferenz in Glasgow ebenfalls kalt gelassen? Die einstudierte Nervosität. Die grossen Gesten. Wo doch alle Welt weiss, dass von den angeblich ach so verbindlichen Zusagen am Ende kaum etwas eingehalten wird.
Selbstverständlich muss sich die Politik zum Klimaschutz bekennen! Nach mittlerweile 26 Ausgaben ist der Verdacht allerdings alles andere als abwegig, dass Klimakonferenzen mehr zum Problem beitragen als zu seiner Lösung. Veranstaltungen wie die COP26 folgen exakt jener ökonomischen und politischen Logik, die uns in die Klimaerwärmung überhaupt erst hineinmanövriert hat.
Ob in Glasgow oder anderswo, Klimaschutz wird gemeinhin mit CO2-Reduktion gleichgesetzt. Wie stark muss der Ausstoss sinken? Welche Rolle soll dabei der Handel mit Emissionsrechten spielen? Wie viel Kohlendioxid kann im Jahr 2045 oder 2050 mit neuen Maschinen, die noch kein Mensch kennt, aus der Luft gefischt werden? Diese Sichtweise ist viel zu eindimensional, viel zu technisch, viel zu abstrakt.
Als ginge es nicht um unser Leben.
Wer also nicht nach Glasgow schauen mag, der blicke – nach Schottland. Dort machte die Schwerindustrie zusammen mit der Förderung von Öl und Gas über Jahrzehnte den Löwenanteil des Bruttoinlandprodukts aus. Die Schäden an Natur und Gesundheit indes werden vom BIP nicht erfasst. Inzwischen ist Schottland weltweit führend bei der Erzeugung von Windenergie. Vor allem aber hat die schottische Regierung vor drei Jahren gemeinsam mit Island und Neuseeland die Gruppe der «Wellbeing Economy Governments» ins Leben gerufen. (Man beachte: Die drei Länder werden von Frauen regiert.) Die «Wellbeing Economy Governments» verschreiben sich nicht Wettbewerb und blindem Wirtschaftswachstum, sie achten aufs Allgemeinwohl.
Das heisst konkret: Statt nur am abstrakten Bruttoinlandprodukt orientiert sich die Politik verstärkt an Indikatoren wie Zugang zu Grünflächen, Fröhlichkeit der Kinder, Rechte von Eltern gegenüber Arbeitgebern und Behörden. Was die Menschen glücklicher und ausgeglichener macht, hilft automatisch auch dem Klima. Denn Umweltschutz lässt sich vom übrigen Leben nicht trennen.
Gewiss ist Schottland längst nicht dort, wo es sein sollte und möchte. Der Ansatz jedoch ist nachahmenswert – gerade für die Schweiz.
In internationalen Rankings zur Zufriedenheit der Bevölkerung belegt die Eidgenossenschaft zwar häufig einen Spitzenplatz. Unser Glück gründet aber ganz wesentlich im materiellen Überfluss und einem entsprechend hohen Konsum. Bezeichnenderweise ist die Schweiz nicht zuletzt darum so reich, weil wir bei der globalen Umweltverschmutzung zuvorderst mitmischen. Mehr als ein Drittel der weltweit gehandelten Kohle wird von Schweizer Firmen verkauft; beim Erdöl sind es 39 Prozent! Unser Finanzplatz investiert viermal mehr in Firmen, die Strom aus fossilen Quellen erzeugen, als in Produzenten von erneuerbarem Strom.
Auch mit unserem persönlichen Verbrauch schlagen wir über die Stränge. Zwei Drittel des Kohlendioxids, das wir verursachen, wird im Ausland in die Atmosphäre gepustet und taucht darum in den Schweizer Statistiken gar nicht auf. Wir empören uns über China, das seinen CO2-Ausstoss seit 1990 vervierfacht hat. Bloss importieren wir von dort jährlich Waren im Wert von 16,5 Milliarden Franken – zu 70 Prozent hergestellt mit Strom aus Kohle.
Keine Frage, die Schweiz muss dringend vorwärtsmachen bei der Produktion erneuerbarer Energien sowie bei der Elektrifizierung des Verkehrs. Und wo sollten jene wunderbaren Maschinen, die künftig das CO2 aus der Luft holen, anders entwickelt werden als an der ETH oder unseren Fachhochschulen? Das eine tun, bedeutet freilich nicht, das andere zu lassen: Eine Politik, die neue Prioritäten setzt und Wohlstand nicht länger mit Wohlbefinden verwechselt, würde uns allen gut bekommen. Wobei «alle», natürlich!, alles einschliesst – Sie und Ihre Kinder, die Insekten und die Bäume im Wald, die sieben Weltmeere und das Klima.