Nie zuvor wurden Menschen derart umworben wie jene, die sich bislang nicht haben impfen lassen. In den kommenden Tagen rollen ihnen Bund und manche Kantone noch einmal den Teppich aus: Die Landesregierung lanciert die «nationale Impfwoche», Kantone wie Zug, Basel-Stadt und Genf planen einen seriösen letzten Effort, um möglichst viele dazu zu bewegen, sich und andere zu schützen.
Noch bevor die Impfwoche morgen beginnt, zeigt sich allerdings: Ausgerechnet dort, wo die Impfquote tief ist und es spezielle Anstrengungen bräuchte, bleiben die Behörden häufig untätig. Im Thurgau, den beiden Appenzell oder in Schwyz gibt es eine Impfwoche nur dem Namen nach. Natürlich hat in einer funktionierenden Demokratie jede Bevölkerung in etwa jene Regierung und jene Verwaltung, die ihr am ehesten entsprechen. Politiker mit einem Minimum an Verantwortungsbewusstsein und wenigstens etwas Gestaltungswillen hätten aber auch die Bewohnerinnen und Bewohner der Ost- und der Innerschweiz verdient.
Von den nächsten Tagen hängt wesentlich ab, wie der Winter wird. Gerät die grosse Impfkampagne im ganzen Land zum Totalausfall, müssen wir abermals mit vielen Toten und einem Kollaps des Gesundheitssystems rechnen. Gelingt es dagegen, bis Ende Jahr eine weitere halbe Million Menschen oder mehr vollständig zu impfen, könnte die kalte Jahreszeit zumindest in einigermassen geordneten Bahnen verlaufen.
Das Resultat der Impfwoche wird vermutlich irgendwo dazwischen liegen. Und der Bundesrat vor einem gefährlichen Balanceakt stehen: Kann er Massnahmen herunterfahren, ohne eine Überlastung der Spitäler zu riskieren?
Zurzeit jedenfalls ist der Druck enorm, die Zertifikatspflicht spätestens vor Weihnachten zu lockern, und er kommt aus sämtlichen politischen Lagern. Doch es gibt auch epidemiologische Überlegungen, die aktuell gültigen Einschränkungen in dieser Form nicht über Monate aufrechtzuerhalten. Denn damit würde ein mögliches Ende der Pandemie weiter hinausgezögert. Das heutige Hangen und Bangen setzte sich 2022 einfach fort.
Der Bundesrat dürfte sich bei seinen künftigen Entscheidungen von dieser Hoffnung leiten lassen: Weist die gesamte Bevölkerung erst einmal ausreichend Antikörper und spezifische Immunzellen aus, ist das Virus zwar nicht aus der Welt, die Krankheit wäre nun aber wirklich halbwegs vergleichbar mit einer extrem starken saisonalen Grippe. Das ist zwar schlimm genug, würde dereinst jedoch für die meisten Menschen die meiste Zeit ein Leben ohne jede Einschränkung bedeuten.
Aus seinen bisherigen Äusserungen lässt sich ableiten, dass der Bundesrat nach Abschluss seiner Impfwoche auf diese Strategie umzuschwenken versucht: lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Sofern es die Kapazitäten unserer Krankenhäuser irgendwie zulassen, soll die gesamte Bevölkerung bis zum Frühjahr 2022 mit Corona in Kontakt gekommen sein. Durch die Impfung – Booster inklusive – oder dann eben, leider, leider, durch Infektion.
Anders gesagt: Plan A ist die Impfung, für alle anderen soll Plan B gelten, die Durchseuchung bis März. Freilich ist dieses Vorgehen ein extremes Wagnis. Wegen ihres Egoismus, ihren Vorurteilen und/oder Ängsten setzen die Impfgegner das Leben von Alten und Menschen mit schwachem Immunsystem aufs Spiel. Denkbar, dass ihretwegen am Ende erneut die Notbremse gezogen und Restaurantschliessungen sowie Homeoffice angeordnet werden müssen.
Fest steht in jedem Fall: Kommende Woche gibts Impfkonzerte, Süssigkeiten und Party auf Staatskosten. Danach ist fertig lustig. Es liegt an den derzeit Ungeimpften, wie hart der Winter nun genau wird. Für sie und ihre Mitmenschen.