Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Das günstige Benzin kommt uns jetzt teuer zu stehen

Immer hiess es: Wir brauchen günstiges Benzin! So haben wir die Ausfahrt in die Energieunabhängigkeit verpasst. Und bezahlen heute mit inflationären Preisen für fossile Rohstoffe.
Publiziert: 26.06.2022 um 00:53 Uhr
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Aktualisiert: 21.11.2022 um 13:36 Uhr
Gieri Cavelty, SonntagsBlick-Chefredaktor
Foto: Paul Seewer
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Gieri CaveltyKolumnist SonntagsBlick

Eine Inflation geht um in Europa. Die Preise blähen sich auf, Sparguthaben schmelzen, Leute mit schmalem Budget geraten in Existenznöte. In der Schweiz weht der Wind – dem starken Franken sei Dank – noch nicht so stark: Im Mai lag die Inflationsrate bei 2,9 Prozent. Das heisst, die 290 Güter und Dienstleistungen im Musterwarenkorb des Bundesamtes für Statistik kosteten knapp drei Prozent mehr als im Mai 2021. Doch der Blick auf die einzelnen Produkte zeigt: Bei immerhin einem Drittel lag der Anstieg höher. Grundnahrungsmittel wie Margarine, Pflanzenöle und Teigwaren etwa wurden 6,7 bis zwölf Prozent teurer. Für Benzin muss man einen Viertel mehr bezahlen, vier Fünftel sind es beim Heizöl. Da ist es ein schwacher Trost, wenn Herrenunterwäsche und Spielkonsolen im Vergleich zum Vorjahr günstiger geworden sind.

Inflation ist häufig eine Folge von Krieg und Rohstoffknappheit. Das war bei der Hyperinflation vor 100 Jahren in Deutschland der Fall, ebenso in den beiden Erdölkrisen der 1970er-Jahre. Heute ist es Putins Vernichtungsfeldzug gegen die Ukraine, der unser Leben teurer macht. Die Einfuhr von Öl und Gas produziert mehr als die Hälfte der Inflation in Europa.

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Nun richten sich alle Blicke auf die Notenbanken. Erhöhen sie die Leitzinsen? Fahren sie ihre Aufkaufprogramme für Staatsanleihen zurück? Schicken sie die Wirtschaft in eine Rezession? Wirklich verantwortlich für die prekäre Lage jedoch ist die Politik. So schreckte die EU während der Eurokrise ab 2010 davor zurück, den Staaten in Südeuropa Schulden zu erlassen – stattdessen musste die Europäische Zentralbank das Problem übertünchen, indem sie die Finanzmärkte mit billigem Geld flutete.

Vor allem aber hat es die Politik seit Jahrzehnten versäumt, unsere Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen effektiv zu reduzieren.

In der Schweiz hallen die Parolen nach, mit denen im Juni letzten Jahres das CO2-Gesetz versenkt wurde. Das Nein bei der Volksabstimmung kam insbesondere darum zustande, weil die Gegner Ängste vor höheren Energiepreisen schürten. «Das neue CO2-Gesetz verteuert Benzin und Diesel um zwölf Rappen pro Liter», donnerte die SVP in einer gleichermassen raffinierten wie aufwendigen Kampagne. «Das kann sich nur die obere Einkommensschicht problemlos leisten!» Damals war der Liter Benzin gut 40 Rappen günstiger zu haben.

Gewiss, ein Ja zur CO2-Vorlage hätte an der aktuellen Situation wenig geändert. Das Engagement der SVP reihte sich allerdings in einen langen Kampf für fossile Rohstoffe ein. Wann immer ein Kantonsparlament in den vergangenen 20 Jahren über energiesparende Bauvorschriften und die Nutzung der Solarenergie diskutierte, wann immer es in einer Gemeinde um die Förderung von Fern- oder Erdwärme ging, trat die SVP auf die Bremse. Und argumentierte dabei stets mit den Kosten.

Es stimmt ja auch: Die Abkehr von Öl und Gas, Benzin und Diesel geht zunächst mit höheren Preisen einher. Ökonomen nennen diesen Effekt «Greenflation», ein Kofferwort aus «green» und «inflation». Freilich war zu jedem Zeitpunkt klar, dass sich diese Investitionen mittel- bis langfristig wirtschaftlich lohnen. Ohnehin muss die Abkehr von fossilen Rohstoffen vollzogen werden, damit die Erde überhaupt bewohnbar bleibt. Man wusste also schon lange, dass diese Kosten irgendwann anfallen. Wegen Putins Krieg bekommen Herr und Frau Schweizer die Rechnung jetzt einfach aufs Mal serviert.

Und was tut die SVP in dieser Situation, da ihre gesamte Energiepolitik wie ein Kartenhaus einstürzt und sich ihre Wähler brutal verschaukelt fühlen müssen? Die Partei setzt sich, wenig überraschend, lautstark für eine Senkung der Mineralölsteuer ein. Dabei zeigen die Erfahrungen in anderen Ländern, dass dies den Konsumenten kaum etwas nützt, weil die Ölkonzerne dann einfach mehr Gewinn einfahren.

Ganz im Stillen indes geht Spektakuläres vor sich. Bis vor kurzem machten SVP-Nationalräte keinen Hehl aus ihrer Ablehnung der Elektromobilität. Vor Wochenfrist reichte nun aber der frühere Parteipräsident Albert Rösti im Parlament einen Vorstoss ein, der Wohlwollen gegenüber der Elektrifizierung des Autoverkehrs durchblicken lässt. Der gleiche Albert Rösti äusserte sich unlängst positiv über die Solarenergie.

Was die Inflationsentwicklung betrifft, kommt das natürlich zu spät. Zumindest aber lässt der sich anbahnende Sinneswandel für die Zukunft hoffen.

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