Foto: ZVG

Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Darum hat die Politik die SBB immer machen lassen

Bundesbern scheute sich, die unternehmerische Krise bei den SBB zu einer politischen Krise auszuweiten. Weil man die Verkehrspolitik als solche nicht in Frage stellen wollte, nahm man notgedrungen in Kauf, dass die Situation innerhalb der SBB eskalierte.
Publiziert: 08.09.2019 um 14:56 Uhr
|
Aktualisiert: 08.09.2019 um 15:05 Uhr
1/11
Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Paul Seewer
Gieri Cavelty.jpg
Gieri CaveltyKolumnist SonntagsBlick

Diese Woche wäre ich beinahe von einem Elektro-Lastwagen überfahren worden. So leise surrt der Laster durch Zürich! Für fahrlässige Fussgänger wie mich, die sich beim Überqueren der Strasse nur auf ihr Gehör verlassen, kann das im Jammer enden. Aus politischer Sicht jedoch ist so ein LKW natürlich eine Sensation.

Ende der 1990er-Jahre tobte der Kampf um die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe, kurz LSVA. Der Gütertransport mit schmutzigen Brummis sollte verteuert, die Bahn attraktiver werden. Die Fuhrhalter bangten um ihre Existenz und stiegen verbal auf die Barrikaden. «Ein Ja zur LSVA wäre für unser Land eine Katastrophe!», klagte der Seniorchef der Bertschi AG aus dem aargauischen Dürrenäsch im BLICK.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Die LSVA wurde trotzdem eingeführt. Und ja, die Fuhrhalter von einst gibt es heute tatsächlich nicht mehr – die gleichen Betriebe nennen sich heute «Logistiker». Frei von Ideologie kombinieren diese Firmen den Transport auf Strasse, Schiene, Wasser. Neuerdings setzen sie sogar Elektro-LKW in den Verkehr. Und seit zehn Tagen sind vier Logistikbetriebe an SBB Cargo beteiligt – darunter die Bertschi AG aus Dürrenäsch.

In einer gemeinsamen Mitteilung begründen die Logistikfirmen ihren Einstieg bei der Bahn: Sie wollten «einen Beitrag zu einer nachhaltigen, klimaschonenden Transport­logistik leisten».

Die Fuhrhalter von einst formulieren Sätze, die dem Parteiprogramm der Grünen entstammen könnten. Ein Triumph der Schweizer Verkehrspolitik!

Im allgemeinen Fokus jedoch steht derzeit das Drama um die SBB. Die Konzernleitung unter Andreas Meyer leistete sich in den letzten Jahren und Monaten einen ganzen Güterzug voller Fehler. Die Empörung unter den Bähnlern ist enorm. «Meyer hat die SBB an die Wand gefahren», schrieb mir einer, der sein Leben lang für die Bahn tätig war.

Sein Urteil mag überzogen klingen. Auffällig aber ist: Die lautstarke Empörung der Bähnler stösst auf Funkstille im Bundeshaus. Von ganz links bis ganz rechts hat kein Politiker je öffentlich Klartext zu den SBB geredet.

Wer nach Gründen für dieses ohrenbetäubende Schweigen sucht, landet: bei den grün gewordenen Fuhrhaltern.

Für Grüne und Linke ist die Bahn ohnehin das Rückgrat einer nachhaltigen Verkehrspolitik. Nach Jahren innigster Feindschaft aber steht heute eben auch die Strassenlobby zur Schiene. Selbst die politische Rechte hat ihren Frieden mit den SBB gemacht. Die Bahn hat in der Politik heute ausschliesslich Freunde.

Deshalb scheute sich Bundesbern tunlichst, die unternehmerische Krise bei den SBB zu einer politischen Krise aus­zuweiten. Weil man die Verkehrspolitik als solche nicht in Frage stellen wollte, nahm man in Kauf, dass die Situation innerhalb der SBB eskalierte.

Stille im Verkehr ist eine gute Sache. Stille in der Verkehrspolitik aber kann gefährlich werden. Gefährlicher als so ein Elektro-LKW.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?