Liebe Leserin, lieber Leser
In Frankfurt wird ein Schweizer Spion verhaftet. Er hat deutsche Steuerfahnder ausgespäht. Die Recherchen von SonntagsBlick sorgen international für Aufsehen: Deutsche und Schweizer Medien berichten nonstop über die Enthüllung, der deutsche Aussenminister Sigmar Gabriel verlangt von Bundesrat Didier Burkhalter eine Erklärung, sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt ihre Irritation kund.
So drollig die Affäre um Daniel M. auf den ersten Blick auch scheint, sie ist ein Skandal erster Klasse. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Ermittlungsbehörden des Bundes: Nachrichtendienst und Bundesanwaltschaft setzen ihre Prioritäten falsch. Sie agieren wie die letzten Stümper.
Am Dienstag stellte der Nachrichtendienst seinen Jahresbericht vor. Darin benennt er die grossen Herausforderungen unserer Zeit: Terror, Gewaltextremismus, Rüstungsgeschäfte. Im Alltag allerdings verlässt er sich bei der Terrorbekämpfung primär auf Hinweise aus dem Ausland – gerade der deutsche Nachrichtendienst BND gilt als unentbehrliche Quelle. Und wie nutzt man in Bern die dank Berliner Hilfe freien Kapazitäten? Genau: Man schickt einen zweifelhaften Privatdetektiv nach Deutschland, um dort Steuerbeamten nachzuschnüffeln.
Als ob das nicht schon grotesk genug wäre, sorgt dann die Schweizer Bundesanwaltschaft dafür, dass die Deutschen über Daniel M.s Mission ins Bild gesetzt werden. Ja, Sie haben richtig gelesen: Die Informationen, die zur Verhaftung von M. führten, stammen ursprünglich aus Akten der Bundesanwaltschaft. In Bern weiss die linke Hand nicht, was die rechte tut.
Noch mehr Pannen gefällig? Im April 2012 erliess Bundesanwalt Michael Lauber Haftbefehle gegen drei deutsche Steuerfahnder – das Beweismaterial beschafft hatte kein anderer als Daniel M. Dumm nur, dass der Bundesrat zu diesem Zeitpunkt in Berlin für das Fortbestehen des Schweizer Bankgeheimnisses lobbyierte. Mit seinen Haftbefehlen durchkreuzte Lauber diese Pläne. Er brachte damit noch die letzten deutschen Politiker gegen die Schweiz auf. Heute behaupten insbesondere SVP-Vertreter im Bundeshaus, Daniel M. sei ein Held, ein Verteidiger des Bankgeheimnisses. Das Gegenteil ist wahr: Mit ihren Aktionen haben der freiberufliche Spion M. und Bundesanwalt Lauber das Ende des Bankgeheimnisses sogar beschleunigt.
Am Ende einer solchen Kaskade von Peinlichkeiten können im Grunde nur die Rücktritte von Nachrichtendienstchef Markus Seiler und Bundesanwalt Michael Lauber stehen. In Bern will diese Forderung derzeit freilich niemand erheben: Zu gross ist die Angst vor einer unkontrollierbaren Kettenreaktion, deren Auswirkungen bis in die Landesregierung reichen würden. Schliesslich war der Bundesrat zumindest über die Aktivitäten des Nachrichtendienstes im Bild.
Wahr ist leider auch: Ein Ende mit Schrecken verhindert nicht unbedingt einen Schrecken ohne Ende. Schon Seilers wie Laubers Vorgänger hatten ihre Posten nicht freiwillig geräumt. Besser geworden ist dadurch nichts.
Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen
Gieri Cavelty