Das meint SonntagsBlick
Organisierte Kriminalität ist gefährlicher als jeder Terrorismus

Publiziert: 12.11.2017 um 00:44 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 03:05 Uhr
Gieri Cavelty
Gieri Cavelty: Chefredaktor SonntagsBlick
Foto: Paul Seewer

Das sizilianische Wort «mafioso» bedeutet ursprünglich so viel wie «schön», «kühn», «selbstbewusst». Und in der Tat: Denkt man an all die grossen Mafia­filme, glaubt man sie zu kennen, die Faszination des Bösen.

Im August 2014 bekam das Publikum dann einen anderen Streifen vorgeführt. Er dauert bloss 90 Sekunden und zeigt ein Dutzend vierschrötiger Gestalten im Hinterzimmer eines Frauenfelder Bocciaclubs. Dass hier Schwerverbrecher tagen, steht ausser Frage. Er könne täglich zwanzig Kilo liefern, prahlt einer – «Kokain, Heroin, alles». Sein wirres Nuscheln über Ehre, Respekt und Geschichte erscheint allerdings weder kühn noch faszinierend. Das Video wirkt wie die Parodie eines Mafiafilms. Nur, diesen Film hat eine versteckte Polizeikamera aufgezeichnet, er zeigt die Realität.

Der Frauenfelder Mafiaclip dokumentiert die Lächerlichkeit des Bösen.

Leider bleibt auch die Gegen­seite weit hinter unseren Erwartungen. Im Frühjahr machte SonntagsBlick publik: Die Bundeskriminalpolizei hat nur einen interimistischen Chef. Inzwischen dümpelt die Abteilung seit zwei Jahren führungslos vor sich hin! Ursache dafür ist ein Gezerre im Bundesamt für Polizei über die Schwerpunkte bei den Ermittlungen. Wie motiviert die Fahnder da ihrer Arbeit nachgehen, kann man sich ausmalen.

Die Politologin Stephanie Oesch hat ein Buch über die organisierte Kriminalität geschrieben. Zur Situation bei der Bundes­polizei äussert sie sich nicht. Aber ganz grundsätzlich sagt sie: «Ich stelle fest, dass der Nachrichtendienst personell aufgestockt hat, höre aber von anderen Behörden oder Polizei, dass die Personaldecke zu dünn und der Komplexität der organisierten Kriminalität nicht gewachsen ist.»

Kommt hinzu: Die Waffen der Mafiajäger sind stumpf. Derzeit überarbeitet das Justizdepartement jenen Passus im Strafgesetz, der sich mit kriminellen Organisationen befasst. Zwar sind punktuell Verschärfungen geplant. Die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation indes soll straffrei bleiben. Und wer die Mafia bei ihren Verbrechen unterstützt, soll weiterhin nicht länger als fünf Jahre hinter Gitter – das sind mindestens fünf Jahre zu wenig, kritisieren die Strafverfolgungsbehörden in den Kantonen.

Die milden Gesetze sind auch der Grund dafür, dass die Bundesanwaltschaft den Frauen­felder Mafiosi nicht hierzulande den Prozess machen wollte. Stattdessen lieferte sie die Verbrecher nach Italien aus, wo strengere Urteile drohen.

Organisierte Kriminalität ist für einen Staat dasselbe wie gestrecktes Heroin für einen Junkie: ein akutes Gesundheitsrisiko. Via Geldwäsche fliessen Milliardenbeträge aus Drogen-, Waffen-, Menschenhandel in die legale Wirtschaft, werden so zu einem immer grösseren Machtfaktor. Und irgendwann zur Bedrohung für Rechtsstaat und Demokratie. Das organisierte Verbrechen ist gefährlicher als der Terrorismus – weil es meist im Verborgenen agiert, mithin von Öffentlichkeit wie Politik unterschätzt wird.

Hier liegt denn auch der grosse Wert des Frauenfelder Mafia­clips (nebst dem Umstand natürlich, dass er als Beweismaterial vor Gericht dient): Einerseits entmystifiziert er das Böse, indem er dessen Lächerlichkeit vorführt; andererseits macht er uns überhaupt erst darauf aufmerksam, dass das Böse nicht nur im Film existiert. Denn ja: Die Mafia hat sich längst in der Schweiz festgesetzt.

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