Liebe Leserin, lieber Leser
Die griechische Tragödie geht so: Was immer der Held tut, er hat keine Chance, seiner schicksalhaften Verstrickung zu entgehen. Die Katastrophe naht, egal was er tut. Er macht sich in jedem Fall schuldig. Und so ist auch das Ende traurig. Das sind die Regeln der griechischen Tragödie seit Sophokles.
Und sie gelten immer noch: Die Verstrickungen im europäisch-griechischen Drama sind kaum mehr zu durchschauen, die Katastrophe scheint unabwendbar. In einem aber unterscheidet sich dieses Drama von der klassischen Tragödie: Es gibt keine Helden. Angela Merkel scheint rat- und kraftlos. Die Kanzlerin will auf keinen Fall damit in die Geschichte eingehen, dass unter ihrer Ägide Europa auseinanderbrach. Die Troika der Gläubiger schäumt und droht und wird am Ende wohl doch wieder Milliarden nach Athen überweisen. Die Angst vor einem Grexit ist zu gross.
Und Tsipras? Als junger griechischer Gott trat er an, um den Mächtigen Europas die Stirn zu bieten. Jetzt bettelt er um Geld und legt eine Reformliste vor, die sich so ziemlich mit den gerade abgelehnten Forderungen der Gläubiger deckt. Wer jetzt noch meint, den Durchblick zu haben, hebe die Hand.
Ich halte mich lieber an Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der diese Woche entnervt an die griechische Regierung appellierte: «Just do it!» Oh ja! Bitte! Just do it! Das Drama muss zu einem Ende kommen. Aber wie? Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann findet deutliche Worte: Grexit. Schuldenschnitt. Einführung der Drachme. Nothilfe.
Ja, das ist kein Happy End. Für niemanden. Aber das ist auch nicht zu erwarten in einer griechischen Tragödie.
Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen
Christine Maier