Editorial
Die behördliche Konfusion lässt Böses ahnen

Publiziert: 12.03.2017 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 16:44 Uhr
Gieri Cavelty
Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Paul Seewer

Liebe Leserin, lieber Leser

Selbstverständlich musste irgendwann auch die Schweiz in den Sog des grassierenden Erdowahns geraten. Die Partei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist im Grunde eine Auslandorganisation: Ohne die finanzielle Unterstützung der Türken in Deutschland wäre Erdogan nie an die Macht gelangt. Jetzt möchte der 63-Jährige diese Macht ausbauen und die Türkei quasi als Sultan regieren – die Volksabstimmung über eine entsprechende Verfassungsänderung findet im April statt. In der Türkei sind das Ja- und das Nein-Lager gleich stark, die Auslandtürken sollen Erdogan zur Mehrheit verhelfen.

Entsprechend unverständlich ist es, wie überrascht und konfus die hiesigen Behörden auf den angekündigten Propagandabesuch des türkischen Aussenministers Mevlüt Cavusoglu reagierten. Der Kanton Zürich wollte den Auftritt verbieten, der Bundesrat dagegen hätte Cavusoglu willkommen geheissen. Cavasoglus Visite wurde gestern Abend zwar auf später verschoben. Die Frage aber bleibt: Wie gravierend mögen die Konzeptlosigkeit respektive das Wohlwollen der zuständigen Stellen erst sein, wenn es um Aktivitäten abseits des Scheinwerferlichts geht? Diese Woche wurde publik: Der türkische Geheimdienst hat auf helvetischem Boden Menschen bespitzelt. Haben unsere Behörden alles unternommen, um derlei Treiben ein Ende zu setzen? Oder betrachten sie es als innertürkische Angelegenheit?

Will man der ganzen Sache etwas Positives abgewinnen, dann dies: Sie ist ein guter Anlass, um sich zu vergegenwärtigen, welch eindrückliche Integrationsleistung viele Einwanderer aus der Türkei hierzulande in den letzten Jahre vollbracht haben. Im Nachgang zur Verhaftung des kurdischen Separatistenführers Abdullah Öcalan kam es 1999 schweizweit zu Gewaltakten. In Bern etwa stürmten Kurden die Büros der FDP und nahmen Geiseln. Seither haben sich gerade die Kurden zu eigentlichen Musterschweizern entwickelt. In Basel – einem Zentrum der alevitischen Kurden in Westeuropa – gehören die Kinder der einst mausarmen Einwanderer zur Bildungselite. Mit der Grünen Sibel Arslan sitzt inzwischen eine gebürtige Kurdin im Nationalrat.

Darum eben geht es, wenn wir heute über die Einflussnahme der Türkei sprechen. Es darf nicht sein, dass die türkische Innenpolitik hemmungslos in die Schweiz getragen wird, die Gesellschaft gespalten, die Integration gefährdet. Der PR-Auftritt eines Ministers liegt ja noch drin. Darüber hinaus jedoch muss die Schweiz ihre Souveränität und ihre Bewohner schützen. Als die Kurden 1999 wüteten, baute Bern den Inlandgeheimdienst massiv aus. Heute müssen ­diese Stellen konsequent jede illegale Aktivität des türkischen Staates in der Schweiz unterbinden.

Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen
Gieri Cavelty

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