Liebe Leserin, lieber Leser
Doch, doch: Didier Burkhalter hatte eine genaue Vorstellung davon, wie das Verhältnis zur EU geregelt werden könnte. Er wünschte sich ein sogenanntes institutionelles Rahmenabkommen; Streitfälle sollten vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg entschieden werden.
Der Schlamassel begann damit, dass sich der Politiker Burkhalter nicht als Politiker verstand, sondern als Staatsmann mit Ambitionen auf den Friedensnobelpreis. Weder kümmerte er sich um den wahren Stand der Verhandlungen mit Brüssel – noch machte er Anstalten, seine Vorstellungen dem hiesigen Publikum zu erläutern.
Der Neuenburger liess es dabei bewenden, sich den Erfolg einfach einzureden. Ungeachtet aller Schwierigkeiten und Rückschläge sprach Burkhalter drei Jahre lang immerfort von einem unmittelbar bevorstehenden Durchbruch beim EU-Dossier. Kein anderer Schweizer Magistrat hat sich jemals der Realität so radikal verweigert.
Seine Bundesratskollegen haben Burkhalter diese Narrenfreiheit zugestanden! Jeder Departementsvorsteher kümmert sich nur um seine Dossiers. Schlimmer noch: Um für die eigenen Geschäfte eine Mehrheit zu sichern, lässt man den anderen im Bundesrat viel zu viel durchgehen. Konkret konnte Didier Burkhalter auf die blinde Unterstützung von Doris Leuthard, Simonetta Sommaruga und Alain Berset zählen – aktiv eingeschritten sind allerdings auch die anderen nicht.
Irgendwann aber kann sich selbst der Wohlwollendste nicht mehr blind stellen. Die Vorbereitung der jüngsten Bundesratssitzung zum Thema EU artete in offenen Streit aus. Und Burkhalter musste einsehen, dass sich die perfekte Welt nicht einfach nur herbeiwünschen lässt. Das Ende seiner europäischen Träumerei bedeutete das Ende seiner Zeit als Bundesrat.
Dennoch dürfte es grundsätzlich keine grosse Rolle spielen, wer neu ins Aussendepartement kommt: Der europapolitische Eiertanz wird fortgesetzt. Zu gross ist die Furcht bei SP, FDP und CVP, der SVP mit einer klaren aussenpolitischen Strategie Munition zu liefern. Und dass ein SVP-Mann Aussenminister wird, erscheint sehr unwahrscheinlich.
In jedem Fall jedoch wäre dem Bundesrat als Kollegium schon gedient, wenn ihn der Fall Burkhalter zu einer neuen Art der Zusammenarbeit motiviert. Nach den schwierigen Jahren mit Christoph Blocher als Bundesrat – eine Zeit der Intrigen und Parteipolitik statt Regierungsarbeit – galt im Siebner-Gremium ein übertriebenes Harmonie-Gebot. Nun aber hat sich gezeigt: Harmonie allein ist ebenso gefährlich. Konkordanz heisst nicht Durchwinken, sondern konstruktive Mitarbeit. Dazu gehört auch frühzeitige, gegenseitige Kritik.
Zum Schluss noch etwas Versöhnliches: In unserer Umfrage stellt die Bevölkerung Didier Burkhalter auf einer Skala von 1 bis 6 die Note 4,9 aus. Das ist nicht der Friedensnobelpreis, aber gar nicht schlecht!
Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen
Gieri Cavelty