Liebe Leserin, lieber Leser
Die fürchterliche Wirksamkeit des Anschlags von Nizza wird offenbar, wenn man darüber nachdenkt, welchen perfekten Angriff auf unsere Köpfe er darstellt.
Als ich davon erfuhr, schaute ich als Erstes auf Google Maps, wie lange die Autofahrt von Nizza nach Viareggio dauert, meinem Ferienort an der toskanischen Küste. Die Stimmung dort ist besser als auch schon, Tausende flanieren abends
die endlich wieder besser besuchten Restaurants und Shops entlang.
Und ich fragte mich: «Könnte ein Blutbad wie in Nizza in Viareggio geschehen?» Vor meinem inneren Auge sah ich schon einen weissen Lastwagen über die Flaniermeile, die Passeggiata, rasen.
In diesem Augenblick wurde mir klar, wie sehr ich den Terroristen schon auf den Leim gekrochen bin: Böse Bilder in den Köpfen wecken, Ängste schüren, Zweifel säen – genau das ist es, was sie wollen.
Wie erfolgreich sie dabei zu Werke gehen, wird klar, wenn man Wissenschaftlern wie dem deutschen Psychologen und Risikoforscher Gerd Gigerenzer zuhört: In Deutschland ist es wahrscheinlicher, von einem Blitz getroffen, als von einem Terroristen getötet zu werden, rechnete er in einem Interview mit der «Zeit» vor. In den USA sei in den meisten Jahren die Wahrscheinlichkeit grösser, von einem Kleinkind erschossen zu werden, das mit einer Waffe spielt, als von einem Terroristen.
Osama Bin Laden soll sich gebrüstet haben, die Anschläge vom 11. September 2001 hätten ihn eine halbe Million Dollar gekostet – und einen Schaden von 500 Milliarden angerichtet: Jeder investierte Dollar sorgte demnach für eine Million Schaden – eine teuflisch traumhafte Rendite quasi.
Mit dem weissen Lastwagen von Nizza verhält es sich wie mit den Dollars des Terrorfürsten – erst tragen die Attentäter unsägliches Leid und Zerstörung an einen bestimmten Ort. Dann geht der Schrecken um die Welt und erreicht sein eigentliches Ziel: unsere Köpfe.
Eine Gesellschaft wird instabil, wenn ihre Mitglieder glauben, sie sei instabil. Deshalb sollten wir unsere Sommerpläne auf keinen Fall ändern.
Ferien im Süden? Jetzt erst recht!
Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen
Philippe Pfister