Das meint SonntagsBlick
Alzheimer ist ein Schicksal, keine Schande

Publiziert: 02.04.2017 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 15:43 Uhr
Gieri Cavelty

Liebe Leserin, lieber Leser

Ich denke, also bin ich. Mit diesem Satz des Philosophen René Descartes (1596–1650) begann die Neuzeit. Seitdem gründet der Mensch sein Selbstverständnis auf Hirnleistung. Nichts ist uns unheimlicher als Kontrollverlust. Und die grösste aller persönlichen Katastrophen heisst Alzheimer. Die deutsche Fussballlegende Rudi Assauer etwa gab sich alle Mühe, als Alkoholiker zu erscheinen – nur damit er seine Alzheimer-Erkrankung ver­tuschen konnte.

Nun hat es unsere Schweizer Fussballlegende Fritz Künzli getroffen. Auch er und seine Lebensgefährtin Monika Kaelin wollten die Krankheit lange für sich behalten – nicht zuletzt, um sie selber nicht akzeptieren zu müssen. Einen leichten Dachschaden vielleicht, von den vielen Kopfbällen: So viel wollte sich das Paar eingestehen. Aber gewiss keine Krankheit zum Tode.

Heute ist der Tag gekommen, an dem Monika Kaelin die Diagnose Demenz mit Alzheimer öffentlich macht. Die seelische wie körperliche Belastung ist für die Lebensgefährtin des Erkrankten schlicht zu gross geworden. Mit ihrem Gang an die Öffentlichkeit erweist sie nicht nur sich selbst und ihrem Fritz einen grossen Dienst. Das Versteckspiel soll auch für andere Betroffene ein Ende haben! Alzheimer ist ein Schicksal, keine Schande. Mit ihrem Mut trägt Monika Kaelin dazu bei, dass ein Thema enttabuisiert wird, das für jeden von uns früher oder später akut sein kann.

Ja, wir werden hier Zeugen einer tieftraurigen Geschichte. Aber wir lernen daraus auch, dass Des­cartes irrte: Der Mensch lässt sich nicht aufs Denken reduzieren. Rudi Assauer machte seine Alz­heimer-Erkrankung 2012 in einem beklemmenden Buch bekannt. Zwei Jahre später veröffentlichte seine Tochter Bettina Michel ihrerseits ein Buch über das Leben mit dem Dementen. Viel ist darin vom Schmerz die Rede und von Grenzerfahrungen bei der Pflege des Vaters – aber auch von berührenden, oft schönen Momenten, in denen sie ihm so nahe kam wie nie zuvor.

Gewiss schwingt in diesen Sätzen von Bettina Michel Zweckoptimismus mit, und mehr als eine Zwischenbetrachtung sind sie auch nicht. In ihrem Buch formuliert es die Tochter aber nun einmal so: «Die vergangenen Jahre, die ich meinen Vater zu Hause gepflegt habe, waren ohne Frage anstrengend. Aber sie waren vor allem eins: Tage voller Glück.»

Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen
Gieri Cavelty

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