Ein berühmter Schriftsteller nimmt Abschied von der «Welt der Sicherheit». Einst war man, so schreibt er in seiner Rückschau, «überzeugt, auf dem geraden Weg zur ‹besten aller Welten› zu sein. Mit Verachtung blickte man auf die früheren Epochen mit ihren Kriegen, Hungersnöten und Revolten herab.» Mittlerweile aber habe sich der Glaube, «der technische Fortschritt der Menschheit müsse einen gleich rapiden moralischen Aufstieg zur Folge haben», als «optimistischer Wahn» herausgestellt.
Diese Sätze treffen die Befindlichkeit vieler.
Das vergangene Jahrzehnt hat Gewissheiten pulverisiert, moralische wie intellektuelle Grenzen verschoben – die Welt der Sicherheit hat sich unversehens in eine Welt der Unsicherheit verkehrt.
2007 brach die globale Finanz- und Schuldenkrise über uns herein. In Folge gewann der Nationalismus überall in der westlichen Welt an Terrain. Die Bedrohung durch den islamischen Terror trug das Ihre zu dieser Gefühlsverengung bei.
2007 war aber auch das Jahr, als das erste iPhone auf den Markt kam. Twitter wurde ein eigenes Unternehmen. Der digitale Wandel macht seither viele ganz schwindelig.
Alles zusammen ergibt dann einen US-Präsidenten, der via Twitter fast täglich gegen Ausländer hetzt und Kriegsrhetorik verbreitet.
Und natürlich ruft der Twitter-König Donald Trump scharenweise Follower auf den Plan.
Zum Beispiel Ken Isaacs, Trumps Kandidaten für den Posten des Direktors der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Kriegt Isaacs den Posten, würde er weltweit Hilfsprogramme für Menschen auf der Flucht verantworten. Dieser Ken Isaacs nun forderte die Schweiz per Twitter auf, in den Alpen eine Mauer gegen Flüchtlinge zu errichten.
Was Wunder, wenn sich zunehmend auch normale Zeitgenossen trauen, ihre Wut und ihre Angst hemmungslos zu artikulieren. Wut und Angst sind in derselben Hirnregion angesiedelt: in der sogenannten Amygdala, im innersten Zentrum unserer Köpfe.
Die Social-Media-Kanäle sind so etwas wie der Fiebermesser, mit dem die
Schübe der Amygdala ziemlich präzise und in Echtzeit registriert werden.
Bloss: Gehasst wird nicht allein im virtuellen Raum. Das zeigen die Recherchen von SonntagsBlick-Redaktor Fabian Eberhard in der aktuellen Ausgabe des SonntagsBlick. Die Zahl der rassistischen Übergriffe steigt – nicht nur in der Schweiz. Österreich hat diese Woche die gleiche Entwicklung vermeldet.
Die junge österreichische Extremismusforscherin Julia Ebner schreibt in ihrem soeben erschienenen Buch mit dem Titel «Wut»: «Wahrscheinlich werden die rapide steigenden Raten bei den Hassverbrechen das einzige gemeinsame Merkmal sein, das den europäischen Binnenmarkt überdauert.» Ebenfalls druckfrisch ist das Buch von Joschka Fischer: Darin macht der frühere deutsche Aussenminister Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit verantwortlich für den «Abstieg des Westens».
Aber sind solche Warnungen nicht einfach Schwarzmalerei?
Hoffentlich! Unsere Demokratie muss sich vielleicht erst daran gewöhnen, doch lässt sie sich von einem Twitter-Gewitter selbstverständlich nicht einfach wegspülen. Erst recht genügen ein paar Schläger nicht, um den Rechtsstaat ausser Kraft zu setzen. Die internationalen Institutionen sind stärker als ihr Ruf, die Zivilgesellschaft sowieso. Und überhaupt nimmt im Leben nicht immer alles seine schlimmstmögliche Wendung.
Auf der anderen Seite gibt es aber eben auch jenen Schriftsteller mit seinen
Ausführungen über die vermeintlich sichere Welt von gestern.
Dieser Autor ist vollkommen unverdächtig. Der Verfasser der eingangs zitierten Zeilen heisst Stefan Zweig und ist seit 76 Jahren tot. Die «Welt der Sicherheit» – die Epoche, die Stefan Zweig da beschreibt, ist die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.
Eine Welt, die der Wahnsinn von Nationalismus und Völkerhass in den Abgrund gerissen hat.