Das meint der SonntagsBlick-Chef zur Schuldenfalle
Die Schweiz bestraft Menschen, weil sie arm sind

Schulden werden als moralisches Problem betrachtet. Das ist im höchsten Masse unmoralisch. Denn statt Überschuldung und Armut werden auf diese Weise die Schuldner und Armen bekämpft.
Publiziert: 21.04.2018 um 23:53 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 17:28 Uhr
Gieri Cavelty
SonntagsBlick Chefredaktor Gieri Cavelti.

Schulden: Kein anderes Wort ist moralisch derart aufgeladen. Als ob «Schuld» allein nicht genug wäre, kommt sie in «Schulden» sozusagen gleich in der Mehrzahl daher.

Generell schwingt ein Vorwurf der Verschwendung mit, wenn von Schulden die Rede ist.

«Schulden lassen die Lügen hinter sich aufsitzen», lautet ein Sprichwort. Oder, ganz schlicht: «Schuldner sind Lügner.»

Das ist natürlich alles Quatsch. Und zwar in zweifacher Hinsicht.

Erstens: Schulden sind grundsätzlich eine gute Sache. Unsere Wirtschaft wäre ohne sie undenkbar. «Kredit» ist nicht bloss der positive Begriff für Schulden. Er ist die Basis des modernen Kapitalismus.

Dabei geht es nicht nur um teure Infrastrukturprojekte, die sich ohne Vorschuss kaum finanzieren lassen. Der Historiker Frank Trentmann erzählt in seinem wunderbaren Buch «Herrschaft der Dinge» die Kulturgeschichte des Konsums. Darin berichtet er, wie ein New Yorker Möbelhaus vor 200 Jahren den Ratenkauf erfand. «Der Ratenkredit verwandelte die Massenproduktion in Massenkonsum», schreibt Trentmann.

Der zweite Irrtum, wenn über Schulden gesprochen wird, betrifft die Person des Schuldners.

Zunächst ist es ja so, dass die Mehrheit keine Mühe bekundet, ihre Schulden zu begleichen. Die Ausfallrate bei Krediten ist minim. Daran hat weder der Kreditkarten-Boom noch der Onlinehandel etwas geändert.

Und doch ist Überschuldung ein Problem. Für jeden Betroffenen bedeutet sie eine Katastrophe. Unserer Gesellschaft wiederum stellt sie oft ein Armutszeugnis aus. Denn meist sind eben nicht Verschwendung und blinde Konsumwut die Ursache von Überschuldung. Schuld sind in aller Regel prekäre Arbeitsverhältnisse und miese Löhne, Krankheit und Scheidung.

Am häufigsten geraten alleinerziehende Mütter in die Schuldenspirale.

Es ist darum falsch, die Verschuldung als moralisches Problem abzutun. Es ist für gewöhnlich falsch, Menschen mit Schulden für ihre Not verantwortlich zu machen.

Genau dies passiert jedoch.

In Münchenstein lebt eine alleinerziehene Mutter, die nach Jahren in der Sozialhilfe Arbeit gefunden hat. Zuerst kümmerte sie sich um ihr Kind. Dann schaffte sie es, wirtschaftlich wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Und wie dankt ihr Münchenstein? Die Baselbieter Gemeinde präsentierte der Mutter eine Rechnung über 225'000 Franken. Die Frau soll 20 Jahre lang monatlich 980 Franken Sozialhilfe zurückzahlen.

Münchenstein ist ein besonders krasses Beispiel. Der «Kassensturz» hat es dankenswerterweise publik gemacht. Tatsächlich aber bestehen fast alle Kantone – sobald jemand wieder einen Lohn hat – zumindest auf Teil-Rückerstattung von Sozialhilfe.

In fast allen Kantonen geht es also darum, Not zu bestrafen. Und sei es erst im Nachhinein.

Einen anderen Umgang mit Menschen in misslicher Lage pflegt Finnland. Hier gibt es neben der klassischen Sozialhilfe für Bedürftige auch einen «Sozialkredit». Finnland gewährt Bürgern mit Geldproblemen ein Darlehen von bis zu 10'000 Euro. Damit können sie Schulden tilgen, aber ebenso Anschaffungen tätigen.

Das Sozialministerium in Helsinki macht auf seiner Website gleich ein paar Vorschläge, wofür sich das Geld einsetzen lässt: «Hauskauf, Freizeitausrüstung für Kinder, Arbeitsgeräte oder Fahrzeuge».

Ei paha! Das ist Finnisch für: Nicht schlecht!

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