#aufbruch mit Patrizia Laeri
Who cares?

Nasen putzen, Nägel schneiden, Opas Rollstuhl schieben – ja, auch darüber hat die Weltelite in Davos dieses Jahr gesprochen. Mehr als die Hälfte der auf der Welt geleisteten Arbeit ist nicht bezahlt.
Publiziert: 05.02.2020 um 08:03 Uhr
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Aktualisiert: 05.02.2020 um 08:22 Uhr
Kolumnistin Patrizia Laeri über die Care-Industrie, in der vor allem Frauen gratis arbeiten.
Foto: Thomas Buchwalder

Diese Gratisarbeit leisten vor allem Frauen. Das zeigen Studien des Internationalen Währungsfonds (IWF). Sie kümmern sich um Kinder, pflegen Betagte, waschen, kochen, putzen. Das nennt sich Fürsorge- oder Care-Arbeit. Mädchen und Frauen rund um den Globus leisten allein heute 12,5 Milliarden Stunden solcher Arbeit und erhalten keinen Rappen dafür. Würden nun all diese Gratis-Versorgerinnen unserer Gesellschaft einfach streiken, versänke die Wirtschaft in Chaos und es ginge in vielen Fällen um Leben und Tod.

Care-Arbeit ist das Fundament der Wirtschaft. Ohne sie keine Wirtschaft, kein Profit. Was also passiert, wenn niemand mehr gratis arbeitet? Es ist nicht selbstverständlich, dass Frauen lebenswichtige Jobs weiter unbezahlt erfüllen, darauf machte die Schweizer Ökonomin Mascha Madörin bereits in den 70ern aufmerksam, lange bevor es WEF und IWF interessierte. Sie kämpft seither dafür, dass die Care-Arbeit als eigener Sektor der Wirtschaft und in den Wirtschaftswissenschaften anerkannt und erforscht wird.

Damit stand die Pionierin lange ziemlich alleine da. Etwas, was man nicht misst, hat weder Wert noch Wertschätzung. Nach einem halben Jahrhundert bewegt sich nun doch etwas. Mittlerweile haben immerhin 72 von 195 Ländern das Zeit-Budget von Männern und Frauen untersucht. Die Daten zeigen, dass die unbezahlte Care-Wirtschaft tatsächlich weiblich ist und der unsichtbare Motor, der unsere Geschäftswelt und Gesellschaft ankurbelt. Sie sollte auch in entsprechende wirtschaftliche Messzahlen fliessen.

Schätzungen zeigen, dass Care-Arbeit einen Anteil von 40 bis 60 Prozent am Bruttoinlandprodukt hätte. Doch die uralte und mächtigste Wirtschafts-Kennzahl verkennt dies gänzlich. Es ist Zeit, endlich richtig zu rechnen. Die globale Hilfsorganisation Oxfam rechnet den Wert der Care-Arbeit auf 10,8 Billionen Dollar. Das ist dreimal so wertvoll wie die weltweite Tech-Industrie und entspricht mehr als der Hälfte der Wirtschaftsleistung der grössten Volkswirtschaft der Welt, der USA. Aber die Staaten unterschätzen den Wert unbezahlter Arbeit. Weil sie bisher unsichtbar und ungemessen war, kümmert sie Politiker nicht.

Die Hilfsorganisation Oxfam spricht von einer Ungleichheitskrise und einem sexistischen Wirtschaftssystem für reiche Männer, das Frauen wirtschaftlich abhängig macht. Vermögensungleichheit und Care-Arbeit hängen in der Tat direkt zusammen. Frauen können viel weniger Geldpolster bilden, weil sie einen grossen Teil ihres Lebens unbezahlte Pflege und Fürsorge leisten.

Klingt alles zu radikal? Oxfam, Uno und Ökonominnen wie Mascha Madörin sind mittlerweile in bester Gesellschaft mit mächtigen Wirtschaftsinstitutionen wie dem IWF. Die neue Chefin Kristalina Georgiewa hat höchstpersönlich einen Beitrag über Care-Arbeit verfasst und rechnet aus, wie viel es die Wirtschaft kostet, klassische «Frauenarbeit» zu entwerten und nicht anständig zu bezahlen.

Und wie kann man dieses Marktversagen korrigieren? Der IWF schlägt viele Massnahmen vor. Einfache und nachweislich erfolgreiche sind Elternzeit und Ganztagesschulen. Madörin fordert, dass die unbezahlte Arbeit bezahlt wird. Die Baslerin hat errechnet, dass dies die Schweiz jährlich 107 Milliarden Franken kosten würde, 7000 Franken pro Monat pro Paarhaushalt mit zwei Kindern. Frauen könnten mit diesem Lohn auch ihre Rente stärken.

Und wer soll das bezahlen? Die Anti-Mainstream-Forscherin zitiert Nobelpreisträger Paul Krugman: «Wir haben die Wahl – entweder finanzieren wir einen Krieg, um die Wirtschaft anzukurbeln, oder wir geben viel mehr Geld aus für die Care-Ökonomie, für Bildung, Gesundheit, die Pflege der Älteren usw. Aber es ist radikal tabu, dafür Geld zu drucken.»

Die Notenbanken wären also gefragt. Oxfam schlägt zudem vor, die Vermögenssteuern leicht zu erhöhen, um in den nächsten Jahren die nötigen 117 Millionen Jobs in Bildung, Gesundheit und Betagtenpflege zu finanzieren. Denn 2030 sollen 2,3 Milliarden Menschen Pflege benötigen. Mascha Madörin warnt seit Jahrzehnten vor einer Care-Krise. Womöglich muss diese erst eintreten, bevor die weitsichtige Schweizerin selbst den Wirtschaftsnobelpreis erhält. #aufbruch

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* Patrizia Laeri (42) ist Wirtschaftsredaktorin und -moderatorin von «SRF Börse» und «Eco» sowie Beirätin im Institute for Digital Business der HWZ. Sie schreibt jeden zweiten Mittwoch für BLICK.

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