#aufbruch mit Patrizia Laeri
Was wirklich zählt im Leben

Zu viele Staaten messen Fortschritt noch immer an einer einseitigen Grösse, dem Bruttoinlandprodukt. Dabei gibt es Alternativen, wie Neuseeland beweist.
Publiziert: 23.01.2019 um 00:17 Uhr
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Aktualisiert: 23.01.2019 um 08:21 Uhr
Patrizia Laeri

Was macht das Leben lebenswert? Alte Rezepte der Politik und Wirtschaft geben darauf keine gescheite Antwort mehr. Sie messen blind an den Menschen vorbei. Sie messen Fortschritt nicht mehr richtig, denn sie verlassen sich einseitig auf eine Grösse: das Bruttoinlandprodukt (BIP).

Die Kritik am BIP ist so alt wie die Zahl selber. Erfunden in den 30er-Jahren und der Industrialisierung auf den Leib geschneidert, misst es nur das, was produziert wird. Konsum und Produktion gefallen dem BIP. Je mehr Dinge, desto mehr BIP.

Absurdes statt Aktuelles

Alles, was in Geld messbar ist, fliesst ins BIP. Kostenlose digitale Dinge wie Wissen, Videos, Landkarten haben darin keinen Platz. Eine digitale Tauschwirtschaft war im BIP nie vorgesehen. Es misst auch Ungleichheit nicht. Es steigt munter weiter, obwohl das verfügbare Einkommen der grossen Masse sinkt. Nachhaltigkeit kümmert das BIP auch nicht. Es wächst, wenn die Verschmutzung oder die Zahl der Verbrechen oder Scheidungen zunehmen.

Das BIP misst derlei viel Absurdes, aber wenig Zeitgeistiges, dass es verwunderlicher nicht sein könnte, dass immer noch viele Staaten ihre Politik, ihr Budget nach der angezählten Zahl ausrichten. 

Der Wind dreht endlich

Das BIP zu kritisieren, ist wie den Homo oeconomicus zu hinterfragen, also eine heilige Kuh der Wirtschaft. Zweifler galten bisher sofort als wirtschaftskritisch. Doch dieses Mal ist es anders. Die Schar der Kritiker war noch nie so gross – darunter renommierte Technologie-Professorinnen, Top-Ökonomen und Staatschefinnen.

Einzelne so unterschiedliche Länder wie Neuseeland, Schweden oder die Emirate regieren bereits nicht mehr allein nach dem BIP, sondern nach dem, was das Leben der Menschen wirklich besser macht. Am weitesten geht Neuseeland, angeführt von der jüngsten Regierungschefin der Welt, Jacinda Ardern.

Gesundheit und Bildung

Sekundiert von Organisationen wie der OECD und dem Internationalen Währungsfonds. Daten zeigen, dass Gesundheit und Bildung Menschen glücklich machen. Neuseeland spricht also dort mehr Budget. Die Insel, die als erstes Land der Welt Frauen das Recht zum Stimmen gab, durchbricht immer wieder Grenzen und ist dadurch auch oft das erste Land, das wertvolle Lektionen lernt.

Die Schweiz müsste eigentlich nur mutig eine Schublade öffnen. Die Statistiker des Bundes haben bereits vor zwei Jahren ein Konzept vorgelegt, das misst, was das Leben wirklich lebenswert macht.

* Patrizia Laeri (40) ist Wirtschaftsredaktorin und -moderatorin von «SRF Börse» und «Eco» sowie Beirätin im Institute for Digital Business der HWZ. Sie schreibt jeden zweiten Mittwoch für BLICK.

Heute zum Thema: Diskussion um 13.05 Uhr, SRF 1

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