#aufbruch mit Patrizia Laeri
Gewerkschaften für alle

Probleme im Job? Wer hilft? Gewerkschaften? Ich tu mich schwer mit Gewerkschaften. Verstehen Sie mich nicht falsch, die Welt wäre ungerechter, ärmer und unfairer ohne sie.
Publiziert: 10.12.2019 um 23:50 Uhr
Kolumnistin Patrizia Laeri.
Foto: Thomas Buchwalder
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Patrizia LaeriKolumnistin

Wir hätten keine Mindestlöhne, keine 40-Stunden-Woche, keine sicheren Arbeitsplätze, weder bezahlte Ferien noch Krankheitstage. Sie haben uns befreit von Kinderarbeit, Ausbeutung und Arbeitsunfällen.

Aber Gewerkschaften waren auch stets anfällig für Skandale. Geprägt von Hierarchien, Bürokratie, Korruption, Sexismus. Von aussen wirken sie genauso patriarchalisch wie die ganze Wirtschaft. Das Gewerkschafts-Spitzenpersonal war lange männlich dominiert. Männerberufe haben die stärksten Gewerkschaften, die besten Gesamtarbeitsverträge, die höchsten Mindestlöhne. Was hatten Kinderbetreuerinnen, Kosmetikerinnen oder Coiffeusen bisher davon?

Zudem schreckten alte Schlachtrufe und militante Auftritte viele Menschen ab. Sie mögen es auch nicht, dass jene, die sie als Arbeitnehmer vertreten, parteipolitisch gebunden sind. Sie wünschen sich unabhängige Vertreter. Kein Wunder schwindet die Mitgliedschaft von Gewerkschaften seit Jahrzehnten, und zwar global. Deswegen erfinden sie sich wohl auch gerade neu: Hunderte Gewerkschaftsfrauen aus 60 Ländern haben sich eben erst in Genf getroffen und radikalen Wandel in ihren Organisationen gefordert, um sie frauenfreundlicher aufzustellen.

Und plötzlich interessieren sich auch Tech-Mitarbeiter für Gewerkschaften. Google-Mitarbeiter haben gegen den Willen ihres mächtigen Arbeitgebers die Gewerkschaft Syndicom zu sich nach Zürich geladen, immerhin der drittgrösste Standort des Tech-Giganten. Die Googler sorgen sich, dass sie überwacht werden.

Jetzt kommen also die digitalen Neo-Gewerkschaften. Game-Entwickler schliessen sich gewerkschaftlich zusammen, aber auch Mitarbeiter von Online-Medien, Youtuber und Instagrammer. Für viele Menschen sind diese sozialen Medien wichtige Einnahmequellen. Je mehr Abonnenten sie haben, desto mehr verdienen sie. Aber die Regeln diktieren immer noch Konzerne wie Google und Facebook.

Digital-Arbeiter fordern mehr Fairness und Durchblick bei den geheimen Mechanismen der Plattformen. Und dabei kommt es zum überraschenden Zusammenspannen der alten und neuen Arbeiterbewegungen: IG Metall, eine Gewerkschaft mit über hundert Jahre alten Wurzeln, verbündet sich mit der Youtuber-Gewerkschaft. Die beiden gründen gar die neue Organisation Fairtube.

Es ist klar: Eine Welt ohne Gewerkschaften wäre elend. Je einflussloser Gewerkschaften, desto ungleicher die Gesellschaft. Ganz extrem zeigt sich dies in den USA. Die rekordhohe Ungleichheit erklärt sich auch mit dem Niedergang der Gewerkschaften. Verschiedene demokratische Präsidentschaftskandidaten fordern nun «Gewerkschaften für alle».

Ich würde auf ein Comeback der Gewerkschaften wetten. Es muss ihnen einfach gelingen, politisch unabhängig eine soziale Bewegung für alle Arbeitnehmer zu werden. Ökonomische Studien zeigen, dass Gewerkschaften historisch die Mittelklasse gestärkt haben. Gewerkschaften sind unverzichtbar, um soziale Spannungen zu lösen. Werden Tech-Arbeiter Teil dieser alten Bewegung, könnte das richtig gross werden. Wenn jemand weiss, wie man einflussreiche Plattformen baut und Daten nutzt, dann sie. #aufbruch

Patrizia Laeri (42) ist Wirtschaftsredaktorin und Moderatorin von «SRF Börse» und «Eco» sowie Beirätin im Institute for Digital Business der HWZ. Sie schreibt jeden zweiten Mittwoch für BLICK.

BLICK-Kolumnistin Patrizia Laeri wurde in den letzten Wochen gleich drei Mal ausgezeichnet: Der «Schweizer Journalist» kürte sie zur Wirtschaftsjournalistin des Jahres 2019. Das Berufsnetzwerk Linkedin nahm sie auf in den Kreis der 25 Top Voices, der wichtigsten Stimmen aus der Schweiz, Österreich und Deutschland. Und sie erhielt den Digital Female Leader Award in der Kategorie Diversity für ihre Initiative, auf Wikipedia für mehr weibliche Biografien zu sorgen.

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