Ein Unglück, das zu häufig vorkommt: Ein totes Vögelchen lag im Nachbargarten, wahrscheinlich in eine Scheibe geflogen. Täglich sterben über 250'000 Vögel in Europa diesen sinnlosen Tod – sie fliegen etwa in spiegelnde Scheiben, wie sie bei modernen Bauten oft verwendet werden. Übrigens eine gute Ausrede für Menschen, die ihre Freizeit gerne mit anderen Tätigkeiten als mit Fensterputzen verbringen: Dreckige Scheiben retten Leben. Und sonst verfügt die Vogelwarte Sempach auf ihrer Webseite auch über Tipps für reinlichere Exemplare unter uns.
Aber eigentlich möchte ich heute eine positive Geschichte erzählen. Beim toten Vogel handelte es sich um eine Mönchsgrasmücke. Eine der wenigen Arten, die dem globalen Trend trotzen: Während die Populationen vieler Tiere zurückgehen, nimmt jene der Mönchsgrasmücke zu – zumindest in der Schweiz. Durch die steigenden Temperaturen bleibt sie im Winter auch immer öfter hier.
Sie passen sich an
Die Mönchsgrasmücke kommt bei uns häufiger vor als Amsel, Blaumeise oder Rotkehlchen. Auf bis zu 800'000 Brutpaare schätzt die Vogelwarte den Bestand. Vor allem rund um Städte und Agglomerationen wächst er – Ausdruck einer hohen Anpassungsfähigkeit. Und trotzdem kennen viele Menschen die Mönchsgrasmücke nicht. Daher passt sie in die Serie «Anonyme Anwohner – Tiere vor unserer Haustüre, von denen Sie noch nie gehört haben» (heute Folge 4).
Wie ihr der Schnabel gewachsen ist
Äusserlich weist die Mönchsgrasmücke zumindest ein markantes Merkmal auf: die schwarze Federkappe, welche die Männchen tragen (rotbraun beim Weibchen). Anders als das Kleid ist der wunderschöne Gesang spektakulär. Vielleicht haben Sie im Frühling den flötenden Tönen schon gelauscht, ohne zu wissen, wer ihnen da ein leichtes Klemmen in der Brust verursacht, weil es so schön ist.
Die Mönchsgrasmücke singt tatsächlich wie ihr der Schnabel gewachsen ist: Die männlichen Jungvögel übernehmen den Gesang von erwachsenen Tieren. So haben sich in den Verbreitungsgebieten unterschiedliche Dialekte entwickelt.
Die tote Mönchsgrasmücke lagert nun im Keller des Naturhistorischen Museums und dient so der Wissenschaft, was ihren Tod etwas weniger sinnlos macht. Viele Naturmuseen sind übrigens froh um Totfunde.
Simon Jäggi (39) ist Sänger der Rockband Kummerbuben, arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern und hält Hühner. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK.