Kolumne «Wild im Herzen»
Lieber Wolfsgegner

Der Wolf soll zum Abschuss freigegeben werden. Das findet unser Kolumnist, dessen Hühner schon mal vom Fuchs gerissen wurden, eine schlechte Idee. Ein offener Brief.
Publiziert: 04.07.2019 um 23:32 Uhr
simon-jäggi.gif
Simon JäggiSänger der Rockband Kummerbuben

Mein Ärger musste sich erst legen, bevor ich Ihnen schreiben konnte. Sie und eine Mehrheit unserer Parlamentarier möchten, dass der Wolf zum Abschuss freigegeben wird. Wölfe sollen sogar dann geschossen werden können, wenn sie keinen Schaden angerichtet haben.

Ich halte das für eine ganz schlechte Idee, aber mein Brief ist ein freundlich gemeintes Angebot: Wir sollten wieder sachlicher zusammen diskutieren.

Eines muss ich aber vorwegschicken: Wenn es Ihr einziges Ziel ist, den Wolf wieder auszurotten, dann können wir uns den Austausch schenken. Da hätten wir zu unterschiedliche Ansichten von der Natur. 

Die Natur bringt den Wolf zurück

Aber vielleicht sind Sie ja ein Jäger oder eine Bäuerin, die der Natur dankbar ist. Schliesslich ist es die Natur, die Ihnen die Gämsen bietet, die Sie schiessen. Oder Ihre wunderschönen Schwarznasen-Schafe ernährt. Und es ist auch die Natur, die den Wolf zurückgebracht hat. 

Eigentlich haben wir nur eine Möglichkeit: Wir müssen lernen, mit dem Wolf zu leben (selbst, wenn wir die hiesige Population ausrotten – es wandern neue Tiere ein). Hier einige nüchterne Fakten und Zahlen:

  • Es gibt 200'000 Schafe auf unseren Alpen, 300 Wolfsrisse und 4000 Schafe, die während der Sömmerung aus anderen Gründen sterben – etwa, weil sie abstürzen. 
  • Über 90 Prozent der Wolfsrisse ereignen sich bei ungeschützten Herden.
  • Dort, wo es stabile Rudel und Herdenschutz gibt, kommt es zu weniger Rissen von Nutztieren. Das zeigt etwa die Erfahrung mit dem Calanda-Rudel, das seit Jahren quasi kein Nutztier gerissen hat.
  • Abschüsse bringen häufig nichts – im Gegenteil. Eine Studie zeigt, dass nur in 29 Prozent der Fälle ein minimaler oder kurzfristiger Rückgang der Übergriffe auf Nutztiere stattgefunden hat, wenn Raubtiere abgeschossen wurden. In den restlichen Fällen wurden teilweise sogar mehr Tiere getötet.

Bestimmt denken Sie jetzt: Dieser Städter, was will der mir erzählen? Aber vielleicht haben Sie ein Ohr für einen Hühnerhalter, das bin ich nämlich auch. Schon zwei Mal kam der Fuchs vorbei. Ich war nicht wütend auf den Fuchs, der nur tat, was in seiner Natur liegt. Ich war wütend auf mich, weil ich die Hühner zu wenig gut geschützt hatte – denn ich trage die Verantwortung für meine Tiere. Sehen Sie das nicht auch so?

Simon Jäggi (39) ist Sänger der Rockband Kummerbuben, arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern und hält Hühner. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?