Im kakibraunen Gilet durchstreifen sie die Wildnis. Blutegel an den Beinen, aber immer eine Mission im Kopf: das ausgestorben geglaubte Tier aufzuspüren. So stellen wir Laien uns gern Naturforschende vor. Die Realität ist eine andere (auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sitzen heute hauptsächlich am Computer). Aber offenbar haben sogar Forschende noch ein solches Bild von sich – zumindest irgendwo in einem Wunschkästchen, das sie im Unterbewusstsein versteckt halten.
Auf diese Idee könnte man kommen, wenn man sich mit der Mauerspinne auseinandersetzt – aber dazu später. Brigittea civica lebt in kleinen Ritzen an Hauswänden. Die Netze fangen den Strassenstaub auf und wirken wie Schmutzflecken oder Schimmel an der Fassade. In der Stadt Bern ist die Spinne eine typische, aber diskrete Bewohnerin der Laubengänge. Damit passt sie vorzüglich in die Serie «Anonyme Anwohner – Tiere vor unserer Haustüre, von denen Sie noch nie gehört haben» (das ist Folge 3).
Im Netz der Spinne
Von der Mauerspinne bekommen wir nämlich selten etwas mit. Mit zwei bis drei Millimetern Grösse ist die Art aus der Familie der Kräuselspinnen leicht zu übersehen. Spannend ist ihr Netz, das aus Tausenden von Nanofasern besteht. Solch dünne Fibrillen kann die Industrie nicht herstellen. Die Beutetiere bleiben unter anderem darin hängen, weil die Fäden mit der Wachsschicht der Insekten quasi «verschmelzen» und damit eine enorm feste Verbindung schaffen, wie Forschende erst jüngst herausgefunden haben. Ein solches Netz weisen nur ganz wenige Arten auf.
Die Mauerspinne gilt als selten in der Schweiz. Das Schweizerische Zentrum für die Kartografie der Fauna (CSCF) in Lausanne sammelt Daten über Beobachtungen von Tieren in der Schweiz. Die Verbreitungskarte von Brigittea civica führt nur wenige Punkte auf, wo die Spinnen nachgewiesen wurden.
Wer sucht schon Hauswände ab?
Kommt die Mauerspinne wirklich nur so wenig vor? Nein, die Datenlage hat viel eher mit den Forschenden zu tun. Diese suchen nämlich keine Spinnen an Hauswänden, sondern ziehen herum in Mooren und Magerwiesen.
Übrigens ist das die Chance für uns Laien, selber zu Indiana Jones zu werden: Einfach Gilet montieren, Fassade untersuchen und Funde dem CSCF melden.
Simon Jäggi (39) ist Sänger der Rockband Kummerbuben, arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern und hält Hühner. Wissenschaftlicher Rat: Prof. Christian Kropf. Jäggi schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK.