Kolumne «Wild im Herzen»
Die eierlegende Antibiotika-Milchsau

Das Schnabeltier sieht aus wie eine Witzfigur. Es könnte der Menschheit aber helfen, ein ernsthaftes Problem zu lösen. Wissenschaftler hoffen, aus seiner Milch ein alternatives Mittel zu Antibiotika entwickeln zu können.
Publiziert: 12.03.2020 um 23:16 Uhr
Simon Jäggi, Mitarbeiter Naturhistorisches Museum Bern.
Foto: Thomas Buchwalder
Simon Jäggi

Fragt man die Aborigines, sind Schnabeltiere eine Kreuzung zwischen Ente und Ratte. Fragt man die Wissenschaft, handelt es sich um die letzte überlebende Art schnabeltierähnlicher Tiere, die vor über 100 Millionen Jahren auf dem Superkontinent Gondwanaland lebten, als Dinosaurier noch die Erde beherrschten. Ein lebendes Fossil also. Fragt man dänische Filmemacher, handelt es sich um ein Beispiel, dass Gott Humor besitzt (erwähnt im Film «Dogma»).

Alle sind sich aber in einem Punkt einig: Das Schnabeltier ist eines der skurrilsten Tiere. Als es im 19. Jahrhundert europäische Wissenschaftler zu Gesicht bekamen, hielten sie es für eine gut präparierte Fälschung. Sie waren überzeugt, ihre australischen Kollegen hätten sich einen Scherz erlaubt.

Lederfinken im Gesicht

Das Schnabeltier ist eines von nur zwei Säugetieren, die Eier legen. Der Schnabeligel und das Schnabeltier gehören beide zur uralten Familie der Kloakentiere. Beide sind in Tasmanien und Australien zu Hause. Das Schnabeltier hat den Körper eines Otters und den Schwanz eines Bibers – schliesslich lebt es die meiste Zeit im Wasser. Mit seinem Schnabel sieht es aus, als wäre es in einem Lederfinken stecken geblieben. Zudem verfügen die Männchen über einen Giftsporn – damit gehört die Art auch noch zu den wenigen giftigen Säugetieren.

Nach der Begattung legt das Weibchen meist drei Eier, die jenen von Reptilien gleichen. Die etwas unförmigen Babys trinken nicht direkt aus den Zitzen, Drüsen der Mutter geben die Milch ins Fell ab, aus dem sie die Jungen auflecken. Eigentlich kein schlaues System: Es besteht die Gefahr, dass die Milch verunreinigt wird.

Opfer der Waldbrände

Forschende haben aber herausgefunden, dass die Milch mit einer antibakteriellen Substanz ausgerüstet ist. Sie haben nun die Hoffnung, dass aus dieser Substanz ein alternatives Mittel zu Antibiotika entwickelt werden könnte. Das Problem ist bekannt: Durch unseren unbedarften Umgang mit dem Heilmittel haben sich immer mehr Resistenzen gebildet.

Bevor es der Menschheit hilft, müssen wir erst dem Schnabeltier helfen: Die Population ist dramatisch eingebrochen, weil wegen dem Klimawandel immer weniger Wasser vorhanden ist. Zudem haben die Waldbrände in Australien das erstaunliche Mischwesen weiter dezimiert.

Simon Jäggi (40) ist Sänger der Rockband Kummerbuben, arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern und hält Hühner. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK.

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