Norbert Bolz, Professor für Medienwissenschaft in Berlin, hat in einem Vortrag den Begriff der «Lügenpresse» für falsch erklärt und klargestellt: In Europa oder in den USA werden wir von Journalisten nicht belogen, aber es gibt subtile Methoden der Manipulation. Heute genüge es zum Beispiel, dass eine Moderatorin im Fernsehen die Stirn runzle, während sie politische Akteure oder Ereignisse moralisch bewerte und in Gut oder Böse einteile. «Die Guten hassen dann die Bösen, und zwar mit gutem Gewissen.»
Gemäss Bolz ist diese Moralisierung der öffentlichen Diskussion schlecht für die Meinungsfreiheit. «Dass man die formale Freiheit hat zu sagen, was man denkt, besagt nicht viel, wenn man nicht mehr zu denken wagt, was man nicht sagen darf.» Ausserdem ist es schwer, mit rationalen Argumenten gegen einen Journalismus der Gesinnung und Entrüstung anzutreten.
Belehren statt informieren
Tatsächlich begegnen uns viele Medien heute nicht mehr analytisch-argumentativ, sondern sie verschmelzen Nachricht und Kommentar, Thema und Meinung zu einer abgeschlossenen Einheit. Bei heissen Eisen wie Klima, Gender oder Migration treten das intellektuelle Ringen und die Wahrheitssuche in den Hintergrund, denn die moralisch richtige Perspektive ist längst bekannt. Es dominieren Belehrung und die Skandalisierung der Abweichler.
Zu Recht sagt der Professor, dass dies nicht für alle Medien gilt, dass es in unseren Ländern jeden Tag auch seriösen, kritischen Journalismus gibt. Aber er macht deutlich, dass im journalistischen Rollenverständnis eine Veränderung stattgefunden hat, man könnte sagen: vom Berichterstatter und Kommentator, der den Pluralismus der Anschauungen zulässt und auch Fakten bringt, die der eigenen Moral widersprechen, zum Volkspädagogen, der danach trachtet, die Gesellschaft im eigenen Sinn zu erziehen.
Freiheit zum Widerspruch
Ich bin nicht der Meinung, dass man alles sagen können soll. Rassistische oder sexistische Aussagen gehören bestraft, so wie Aufrufe zur Gewalt. Das tägliche Bemühen um Anstand und gegenseitigen Respekt ist, bei aller Meinungsfreiheit, hochzuhalten. Aber das heisst nicht, dass Journalisten uns erziehen sollen. Dafür sind wir alle selber verantwortlich. Wir müssen uns wie mündige Menschen behandeln und auch die Freiheit zum Widerspruch verteidigen.
Giuseppe Gracia (51), Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur, äussert in seiner BLICK-Kolumne jeden zweiten Montag persönliche Ansichten. Sein Buch «Das therapeutische Kalifat» ist Ausgangspunkt eines Podiumsgesprächs zum Thema «Wer hat Angst vor der politischen Korrektheit?». Unter der Leitung von Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe, diskutiert er mit FDP-Nationalrätin Christa Markwalder, GLP-Politiker und Lehrer Alain Pichard sowie Saïda Keller-Messahli, Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam. 19. Februar 2019 um 19 Uhr, Kosmos, Zürich.