Das Alter hat schon auch Vorteile. Es liefert angenehm nostalgische Erinnerungen. Auf einmal bin ich als Politiker nicht mehr umstritten. Es hagelt Komplimente. Ich werde als SP-Präsident immer besser. Als ob ich kaum Fehler gemacht hätte. Könnte man meinen.
Und nun das. Der Gfeller am Bärenplatz in Bern, drei Minuten vom Bundeshaus entfernt, ist geschlossen. Auf einmal wird nicht mehr serviert. Doch schön der Reihe nach, «wie in Paris», wie Grossvater sagte. Ohne zu wissen, was hinter diesem Spruch steckt. Ein Puff in Paris. Wenn die Männer unruhig drängelten, schritt die Puffmutter ein: «Monsieurs, nur die Ruhe, es geht schön der Reihe nach.»
Das Warenhaus war die grosse weite Welt
Wir wohnten in Zollikofen bei Bern, auf einem Bauernhof. Grossmutter ging im Jahr ein paarmal «in die Stadt». Es herrschte dann eine aufgeregte Stimmung, als ob sie eine grosse Reise vorgehabt hätte. Mit dem Bähnli dauerte die Fahrt 25 Minuten. Hie und da nahm sie mich mit.
Das Programm fing im Warenhaus Loeb an. Grossmutter genoss das enorme Angebot. Für sie bot der Loeb die grosse weite Welt. Ihr Haushaltsbudget genügte bloss für die Mercerie. Da sie fast alles selber nähte, fand sie dort, was sie sich leisten konnte. Ein Unterrock galt schon als Grosseinkauf. Ein «Gloschli», so der berndeutsche Ausdruck.
Nach dem Loeb ging es zum Gfeller. Mit dem Zvieri als Höhepunkt. Milchkaffee mit Patisserie. Im Winter ein Vermicelles. Das war der absolute Luxus. Wie die Sachertorte in Wien. «Dem Vater sagen wir nichts», mahnte sie mich, «sonst schimpft er wegen Geldverschwendung. Milchkaffee sei daheim billiger.»
Eine Frau ging nicht allein ins Restaurant
Für Grossmutter allein mit dem Buben gab es nur Gfeller. In eine andere Beiz zu gehen, kam nicht infrage. Für sie als Frau allein schickte sich das nicht. Wenn doch, dann sei das ein unseriöses Weib gewesen. Emanzipation war noch ein Fremdwort.
Seither sind achtzig Jahre vergangen. Gfeller ist für mich wichtig geblieben. Wann immer ich in Bern war, bestellte ich dort einen Käsekuchen. Der beste der Schweiz, dünkt mich. Nun ist Schluss. Letzte Woche stand ein Kran vor der Gfeller-Liegenschaft. Die Miete sei zu hoch geworden. Wahrscheinlich bauen sie Büros für Lobbyisten im Bundeshaus.
Kein Käsekuchen mehr – une catastrophe.
Helmut Hubacher (93) war von 1975 bis 1990 Präsident der SP Schweiz. Er schreibt jeden zweiten Mittwoch im BLICK.