Ein Mann sagt im Zug zu einer Frau: «Was, Sie sind schon 45? Sie sehen aus wie 15.» Die Frau strahlt. Wenn sie sich wie ein Blitz aufrichten und dem Mann an den Hals werfen würde, wäre niemand überrascht.
Der Bus ist voll. Ein Mann mit viel Gel im Haar steht auf, um einer distinguiert aussehenden Dame Platz zu machen. Die aber schnaubt ihn an, so alt sei sie noch nicht, das habe sie nicht nötig, sich derart beleidigen zu lassen.
Zwei Frauen laufen durch die Strasse, Arm in Arm. Auf den ersten Blick sehen sie wie Zwillinge aus. Auf den zweiten wie Mutter und Tochter, wobei die Mutter offensichtlich viel an sich machen liess, um mit der Tochter mithalten zu können.
Hoffnungslos erfahren
Nicht nur Frauen, auch Männer hassen es, als «alt» betrachtet zu werden. Die junge Journalistin Sophie Passmann hat mit einigen geredet und festgestellt, dass die meisten der um die 50-Jährigen das Attribut «alt» für sich entschieden ablehnen.
Man kann sie alle verstehen, die Männer wie die Frauen. Es ist nicht ihre Schuld. Es ist die Schuld unserer jugendversessenen Gesellschaft, die das Älterwerden als stetigen Verfall begreift und nicht als zum Leben gehörende Entwicklung. Die uns im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung glauben macht, dass anwachsende Reife und Erfahrung zwingend zu einem ausgeprägten Realitäts- und einem verkümmerten Möglichkeitssinn führe. Die Träume, Hoffnungen, Ideale einzig der Kindheit und Jugend zugesteht. Und dabei diese Phasen hoffnungslos idealisiert.
Die beste Zeit des Lebens
Wir beneiden die Kleinsten um ihre Neugier und vergessen dabei, wie unendlich gross ihre Ängste sein können und wie sehr sie ihnen ausgeliefert sind. Wir verklären im Rückblick die Jahre zwischen 16 und 26 als die beste Zeit unseres Lebens und demoralisieren damit diejenigen, die gerade drinstecken und wissen, dass es in Wahrheit auch die schlimmste ist.
Woody Allen hat Trost für alle bereit: Er habe nichts gegen das Älterwerden, sagt er (ausgerechnet er), denn er sehe keine andere Möglichkeit, nicht jung zu sterben. Alles wird gut.
Ursula von Arx denkt wie Bob Dylan, dass sie einst viel älter war und heute jünger ist als damals. Und dass Dylan noch ziemlich jung war, als ihm diese Zeilen einfielen. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im BLICK.