Auf einer Parkbank packt eine Frau mit Bauchnabelpiercing einen neongrünen Sommerhut aus. Die Frau mit dem High-Nostril-Piercing sagt: «Nicer Hut!»
Im Zug sagt ein junger Mann mit Elvis-Tolle zu seinem Freund mit Curtain Bangs: «Mit Holz arbeiten, das fand ich immer irgendwie nice, hobeln und so.»
Curtain Bangs: «Also bei mir gehts eher Richtung Tiere. Tierarzt oder so.»
Elvis-Tolle: «Ja. Ich lass das jetzt einfach mal laufen. Erst Job, dann eigene Wohnung. Meine Eltern sind ja irgendwie voll das Grab. Nicht so nice.»
In einem Café lässt eine Frau mit Tanktop ihre Ratlosigkeit durch die Corona-Maske sickern: «Tims Problem ist, dass er immer der Grösste sein will. Ich hab ihm gesagt: ‹Da hast du ein Problem.› Aber er begreift es nicht. Dabei wäre er eigentlich ganz nice.»
«Nice» wurden den Jugendlichen noch nicht geklaut
«Nice» scheint das neue «cool» und das neue «geil» zu sein. «Cool» und «geil» werden inzwischen von fast allen Altersgruppen verwendet, «nice» jedoch – manchmal kurz und scharf ausgesprochen, manchmal gedehnt und melodiös – gehört noch den Jugendlichen, es ist ein Zeichen sprachlicher Selbstbehauptung, ein Anwendungsfall von weisser Magie, mit der sie sich das Wünschenswerte vergegenwärtigen. Was aber ist wünschenswert in den Augen heutiger Jugendlicher?
Seit den Neunzigerjahren ist das englische «cool» ein Gegenpol zum deutschen «kalt». Bei Kälte frieren die Menschen. Wer jedoch «cool» ist, der hat sich eine lässige, stilsichere, souveräne Haltung zugelegt, einen Panzer gegen die eigene Verletzlichkeit.
Ausdruck von Antriebslosigkeit oder Zufluchtsort der Getriebenen?
Ebenso lang wie «cool» hält sich als dessen hitzigeres Korrektiv das Wörtchen «geil». Es bedeutet ursprünglich «gierig nach geschlechtlicher Befriedigung». Heute wird es wie «cool» für alles verwendet, was irgendwie toll, stark, spitze oder prima ist – für alles, was man eigentlich wirklich will.
Neben dem Pärchen «geil/cool» wirkt das englische «nice» (auf Deutsch nett, hübsch, schön) wie eine Sprachinsel für die Seligen. Es lullt einen ein wie eine wohltemperierte Decke. Es rieselt friedlich, freundlich, versöhnlich. Ist «nice» das Produkt einer zahnlosen Jugend, deren grösste Utopie ein weichwarmes Weissbrotleben ist? Oder die Raststätte einer von Krisen und Katastrophen geplagten Generation? Wird bald alles «nice»? Nein. Alles wird gut.
Ursula von Arx ist sprachlich eine totale Nachzüglerin: Sie sagt jetzt manchmal «cool» oder «geil» und fühlt sich dabei, als ob sie ihr Alter verwischen oder verraten wolle. «Nice» überlässt sie ihren Kindern. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im BLICK.