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Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick, zu Schönheitsoperationen
Diese Operationen sind pure Gewalt

100'000 sogenannte Schönheitsoperationen werden hierzulande jedes Jahr durchgeführt. Hinzu kommen 30'000 Eingriffe, denen sich Schweizerinnen und Schweizer im Ausland unterziehen.
Publiziert: 22.06.2019 um 23:37 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2024 um 00:04 Uhr
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Giery Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Paul Seewer
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Gieri CaveltyKolumnist SonntagsBlick

Am schönsten formuliert hat es der deutsch-koreanische Philosoph Byung-Chul Han. In seinem Buch «Die Errettung des Schönen» erklärt er, was unsere Epoche von anderen unterscheidet.

Es ist «das Glatte».

Der wichtigste Gegenstand der Gegenwart ist das Smartphone mit seiner gläsernen Ober­fläche. Die angesagtesten Gebäude sind Wolkenkratzer mit Spiegelfassade (obschon jeder dieser Spiegel seinen eigenen kleinen Beitrag zur Klimaerwärmung leistet, was ziemlich idiotisch ist). Die gefragtesten Kunstwerke sind die blank ­polierten Edelstahlfiguren von Jeff Koons: Mitte Mai wurde eine solche für 91 Millionen Dollar verkauft – kein Werk ­eines lebenden Künstlers hat je einen höheren Preis erzielt.

Ein anderer Philosoph, der über unsere Gegenwart nachdenkt, ist Hartmut Rosa. In einem kürzlich publizierten Essay definiert der Deutsche den modernen Menschen als jemanden, der vom Drang beseelt ist, alles und jedes zu bezwingen, zu kontrollieren, für seine Zwecke verfügbar zu machen.

Zu bezwingen gilt es insbesondere den eigenen Körper. Hartmut Rosa schreibt: «Alles, was wir an unserem Körper wahrnehmen, steht unter Optimierungsdruck. Wir steigen auf die Waage: Das Gewicht sollte reduziert werden. Wir sehen in den Spiegel: Der Pickel muss weg, die Falte raus.»

Über zwei sehr unterschiedliche Gedanken landen wir also – bei den Schönheitsoperationen, wie sie mein Kollege Thomas Schlittler im aktuellen SonntagsBlick beschreibt. In Schweizer Kliniken wird geglättet und gestrafft, modelliert, nivelliert und kontrolliert, dass es schmerzt.

100'000 sogenannte Schönheitsoperationen werden hierzulande jedes Jahr durchgeführt. Hinzu kommen 30'000 Eingriffe, denen sich Schweizerinnen und Schweizer im Ausland unterziehen.

130'000 Operationen! Die Zahl liesse einem die Nackenhaare zu Berge stehen – hätte man die nicht längst epilieren lassen.

Gewiss gibt es Fälle, da ein solcher medizinischer Eingriff echtes Leid beseitigt. In jedem Fall aber ist die Schönheitschirurgie so ziemlich das Gegenteil einer schönen Sache. Sie ist ein gleichermassen blutiges wie zumeist fragwürdiges Handwerk.

Mädchen, die ihre Schamlippen verkleinern und ihre Brüste vergrössern lassen: Das ist pure Gewalt. Ärzte, die sich mit derlei Eingriffen eine goldene Nase verdienen, handeln skrupellos. Und wer sich die Werbung anschaut, wie sie beispielsweise eine Aargauer Klinik in den sozialen Medien schaltet, der kommt um die Wörter «zynisch» und «menschenverachtend» nicht herum.

Man kann den Boom der Verstümmelungsindustrie auf Instagram zurückführen, wo unzählige geglättete Schönheiten posieren. Auch gibt es den Einfluss der Pornobranche. Diese Erklärungen aber greifen zu kurz. Die Philosophen Byung-Chul Han und Hartmut Rosa lehren, das Phänomen eben als Ausdruck dafür zu lesen, wie glatt in unserer Welt alles doch zu sein hat. Wie reibungslos, wie strom­linienförmig, wie planbar.

Wie lebensfeindlich.

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