Geschichte mit Claude Cueni
Winnetou statt Hitler

Wenn Kinder heute mit Figürchen Bauernhof, Wildwest oder Weltall-Expedition spielen, dann steckt da viel Geschichte drin. Nicht nur rühmliche.
Publiziert: 20.09.2018 um 22:45 Uhr
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Aktualisiert: 21.09.2018 um 14:31 Uhr
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Claude CueniSchriftsteller

Die Geschichte der Spiel- und Actionfiguren widerspiegelt stets die jeweilige Epoche. Bereits in der Steinzeit gab es figürliche Darstellungen aus Holz, Lehm, Knochen, Ton oder Stein, wobei man sich bei einzelnen Objekten nicht einig ist, ob es sich um kultische Objekte oder Spielzeug handelt.

Im Mittelalter wurden Spielfiguren geschlechtsspezifischer und dienten auch dazu, die Kinder der Adligen auf ihre spätere Rolle vorzubereiten: Buben erhielten Ritterfiguren, Mädchen Puppen. Die meisten Kinder mussten jedoch mit dem spielen, was die Natur hergab.

Soldaten aus Sägemehl

Nach dem Siebenjährigen Krieg (1756–1763) wurden Zinnsoldaten aus Weissmetall populär, und mit dem Aufkommen des Bürgertums entstanden die ersten Werkstätten, die für den Nachwuchs des neuen Mittelstands produzierten.

Um 1900 bastelten Otto und Max Hausser Spielzeugsoldaten aus Sägemehl und Leim und verstärkten sie innen mit einem Draht. Was im Kinderzimmer Spiel war, wurde für Max Realität. Er fiel 1915 als deutscher Soldat an der Westfront. Sein Bruder Otto machte allein weiter und produzierte in den 30er-Jahren drei Millionen Elastolin-Figuren jährlich.

Goebbels im Staubsauger

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs besetzten Hitler und Co. die Verkaufsregale, sie hatten Porzellanköpfe, um den Erkennungswert zu steigern. Nach Kriegsende wurden die kleinen Mussolinis und Goebbels aus den Regalen verbannt, mancher SS-Scherge fiel zu Hause diskret Mamas Staubsauger zum Opfer. Nazis, das waren nur die andern gewesen. Otto Hausser zog der Wehrmacht die Porzellanköpfe wie der Zahnarzt die Weisheitszähne. Er ersetzte sie durch neutrale Häupter. Die Uniformen wurden mit den Farben von Schweizer Armeesoldaten übermalt, und Hausser widmete sich unverfänglichen Themen: Winnetou statt Hitler.

Auferstehung dank Computer

In den 60er-Jahren produzierten Hersteller wie Britains, Timpo oder Airfix Plastikfiguren aus allen Epochen. Doch als die US-Armee die ersten Napalm-Bomben über Vietnam abwarf und Millionen gegen den Krieg protestierten, kam erneut Mutters Staubsauger zum Einsatz. Nur Farmtiere überlebten. Erst in den 80er-Jahren gelang den kleinen Sheriffs dank dem PC eine digitale Auferstehung. Der Wilde Westen wurde ins Weltall gebeamt, und Roboter waren die neuen Ritter.

Claude Cueni (62) ist Schriftsteller und lebt in Basel. Im November erscheint sein neuer Roman «Warten auf Hergé». Cueni schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK.

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