Womit verdient man sich zu Lebzeiten einen Stehplatz im Pariser Wachsfigurenkabinett Musée Grévin? Bei Edith Piaf oder Johnny Hallyday stellt sich die Frage nicht. Aber was hat der Elsässer Pierre Hermé, der fast jeden Ritterorden der Grande Nation eingesammelt hat, Grossartiges geleistet?
Die «New York Times» nannte ihn den «Napoleon der Küche», «Paris Match» den «Picasso der Patisserie». Was der Papst für die Katholiken, ist Pierre Hermé für die Liebhaber des Macarons.
100 Kilometer für Schokolade
Im Alter von 14 Jahren bewarb er sich erfolgreich auf ein Stelleninserat von Gaston Lenôtre, einem Patissier, dessen Mutter die erste französische Chefköchin war und die Rothschilds bekochte. Diese aussergewöhnliche Frau hatte ihren Gaston schon früh in die Geheimnisse der Patisserie eingeweiht.
Als Teenager hatte er in den 30er-Jahren seine eigene Schokolade kreiert und war hundert Kilometer nach Paris geradelt, um sie zu verkaufen. Während in den 40er-Jahren zahlreiche Bäckereien pleite gingen, überlebte der mittlerweile verheiratete Gaston Lenôtre dank seiner kreativen Frau, die den Laden so designte, als würden hier Taschen von Louis Vuitton verkauft.
Exotische Mischungen
Ein adliger Schlossherr wurde auf die Edelbäckerei aufmerksam und finanzierte Lenôtre den Start in Paris. Zucker und Fett wurden durch leichtere Zutaten ersetzt, und bald verkaufte Lenôtre seine Macarons in 13 Ländern.
Sein rechtmässiger kulinarischer Erbe wurde der Junge, der damals als 14-jähriger Gehilfe bei ihm angefangen hatte: Pierre Hermé. Auch er revolutionierte die Grundlagen der Patisserie, verfeinerte die Rezepte von Meister Gaston und verbesserte mit exotischen Mischungen die Intensität der Macarons.
Macaron, mon amour
Die vielen Nachahmer machten die Süssigkeit zum beliebtesten Feingebäck Frankreichs. Aber keiner erreichte die Qualität von Pierre Hermé, der heute in seinem Firmenimperium über 300 Mitarbeiter beschäftigt.
Erfolg hat seinen Preis. Wie vielen Menschen, die mit enormer Leidenschaft und Kampfgeist den Gipfel des Erfolgs erklimmen, fiel es auch Pierre Hermé schwer, zu Hause das Löwenfell des Herkules abzulegen. Mehrere Scheidungen waren die Folge. Denn seine grosse Liebe galt stets – dem Macaron.
Claude Cueni (62) ist Schriftsteller und lebt in Basel. Im November erscheint sein neuer Roman «Warten auf Hergé». Cueni schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK.