Zeit für Politik

Publiziert: 01:05 Uhr
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Frank A. MeyerPublizist

Minutengenau protokollierte der «Tages-Anzeiger» den Zeitverlauf: Um 9 Uhr Washingtoner Zeit, 15 Uhr in Bern, hätten Donald Trump und Karin Keller-Sutter einander am Telefon begrüsst; zwölf Minuten nach dem Ende des Gesprächs mit der Schweizer Bundespräsidentin habe der amerikanische Präsident auf seiner Plattform «Truth Social» bedeutungsvoll gepostet: «Jetzt ist ein guter Zeitpunkt zum Kaufen»; um 19.18 Uhr Berner Zeit verkündete Trump den dreimonatigen Aufschub seiner hohen Zölle für Europa.

Blick stellte in aller Vorsicht die Frage: «Hat auch Keller-Sutter zu Trumps Zollpause geführt?» Sogar die «Washington Post», näher am Geschehen, suggeriert den Einfluss der Schweizerin – die Hauptstadtzeitung erwähnt Keller-Sutter namentlich.

Unsere KKS – Weltpolitikerin? 

Warum eigentlich nicht? Die Bundespräsidentin vertritt den sechstgrössten ausländischen Arbeitgeber in den USA sowie den drittgrössten Investor in Forschung und Entwicklung. Die Schweiz hat weniger als neun Millionen Einwohner. 

Aber sie hat Karin Keller-Sutter. Der Machtmensch im Weissen Haus könnte für ihren unaufdringlichen Charme empfänglich sein, sieht er sich doch den ganzen Tag umgeben von Kabinettsmitgliedern, die ihm erwartungsvoll in die empört gespreizten Nasenlöcher starren: Vance, Rubio, Hegseth, Knaben, die sich vor der Weltöffentlichkeit aufblasen, während sie vor dem Chef ergeben zusammensacken. 

Und dann: am Telefon eine Frau von Format.

Ja, Karin Keller-Sutter ist genau das. Jüngst hat sie es in einem Gespräch mit der «Neuen Zürcher Zeitung» unter Beweis gestellt: Zwei Zeitungsseiten Intelligenz, Kompetenz, politische Präsenz – zugleich Bescheidenheit, frei von jeder Übertreibung. Die St. Gallerin bezieht Stellung zur Welt, zur Schweiz, zu sich – zu uns.

Sanft bestimmende Sachlichkeit in Zeiten narzisstischer Prahlerei. 

Präzise Töne im Geschmetter der Trumpeten!

Die Schweiz kann nämlich Politik, ganz besonders KKS. Aber nicht nur sie, auch die andern sechs Gleichen. Allesamt allerdings mögen sie Politik eigentlich nicht. Und tauchen lieber darunter hinweg. Getreu der Berner Formel: «Seien wir doch sachlich.» 

Dumm nur, dass es gerade Zeit ist für Politik. Die Europäische Union hat dies soeben vorgemacht: mit dem Vorschlag, Industriezölle zwischen der EU und den USA komplett abzuschaffen. Unter anderen weltpolitischen Bedingungen hätte Brüssel dafür drei Jahre gebraucht – mindestens. Und wer weiss, ob dann mehr herausgekommen wäre als ein Wasserflaschen-Verschluss-Beschluss gegen Plastikabfall. 

So ist denn, so wäre denn Zeit für einen Schweizer Einstieg in die Weltpolitik. Fast scheint es, als begreife man im Bundeshaus den Ernst der Stunde – die einer Abfolge von irren Minuten gleicht. Mit hoch qualifizierten Fachkräften rüstet der Bundesrat sein aussenpolitisches Instrumentarium auf: Washington soll erfahren, welche Kompetenz hinter dem verführerischen Auftritt der Bundespräsidentin steckt. Unter anderen ein Aussenminister, dessen Tessiner Charme ein Äquivalent zu KKS sein könnte – bekanntlich mag Trump ja auch die Italienerin Giorgia Meloni. 

Also hat die Schweiz viel anzubieten. Nicht nur den USA. Ganz besonders Europa, der sicheren Bastion für unser Land, Schutz und Schirm in widrigster Welt-Wetterlage – wie gerade jetzt. 

Die kleine Schweiz ist gross. Findet sie nun – endlich – zur Grösse der Erkenntnis, dass die Nation auf die Gemeinsamkeit mit grösseren Kleingrossen angewiesen ist? Bereits ein Rahmenabkommen, inzwischen zerschwatzt bis zur Kinderei, würde dazu allerhand beitragen. In Brüssel sitzen Demokraten – keine Trumps. 

In Brüssel sitzen sogar Freunde, natürlich mit eigenen Interessen, wie echte Freunde sie nun mal haben – und sie offen aussprechen. 

Und das Volk, das die helvetischen Trumpisten immer wieder gegen Europa ins Feld führen? Es wird mitmachen. Die Stimmbürger wissen, worum es geht, wenn der Feind vor den Toren steht und herrisch «unterwerft euch» brüllt.

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