Eine Podiumsdiskussion von Bundesrat Ignazio Cassis und dem slowakischen Aussenminister Juraj Blanàr an der Universität Freiburg wurde kurzfristig abgesagt: Aufrufe zu einer Demonstration für Palästina hatten Sicherheitsbedenken ausgelöst.
Ein normaler Vorgang, weil wohlbedacht: Die beiden Minister hätten sich womöglich propalästinensischem Protest samt Unflätigkeiten und Gewalt ausgesetzt, antisemitischen Hasstiraden inklusive.
Deshalb der rasche Rückzug ins Bundeshaus. So macht man das.
Macht man das so?
Darf man das so machen?
Man kann den Vorgang auch anders betrachten: Als bundesrätliches Kneifen, noch bevor sich die Demonstranten leibhaftig lärmend in Szene setzten. Als Feigheit vor einem Feind, der seine Palästinenserfahnen nicht einmal zu entfalten brauchte. Als Vor-Sicht vor einem politischen Ereignis, das sich noch gar nicht ereignet hatte. Mit Umsicht hat das allerdings nichts zu tun.
Umsicht hätte bedeutet, dass sich der Bundesrat durch erwartbare Pöbeleien nicht vertreiben, nicht am Reden hindern lässt. Ein Mitglied der Regierung hat seinem ausländischen Gast zu demonstrieren, wie die Schweiz die freie Rede garantiert: durch den Aufmarsch von Sicherheitskräften mit angemessener Ausrüstung, um die Meinungsfreiheit durchzusetzen und zu schützen, mit allen Mitteln!
Die Staatsmacht als Schutzmacht.
Als Schutzmacht des Bundesrates? Nein, als Schutzmacht der Freiheit – der freien Rede. Als Schutzmacht des Bürgers, der irgendwo und irgendwann in der freien Schweiz eine Podiumsdiskussion durchführen möchte. Muss er die Debatte absagen, wenn Komplizen von Hamas oder Hisbollah mit ihrem Aufmarsch drohen?
Was der gut geschützte Bundesrat scheute, muss der schlecht geschützte Bürger umso mehr scheuen. Es sei denn, ihm werde Schutz gewährt: durch Polizei, die Bürgerfreiheit garantiert und, wenn nötig, brachial durchsetzt.
In Berlin, wo diese Kolumne entsteht, ist eingetreten, was unausweichlich wird, wenn sich der Staat nicht als Schutzmacht der Bürger versteht, sondern als Hätschelmacht, die ihre schützende Hand über Einwanderer einer voraufklärerischen Religion hält.
Aus dem Mund der Berliner Polizeipräsidentin klingt das dann so: In Stadtteilen mit überwiegend muslimischer Bevölkerung sollten «Menschen, die Kippa tragen oder offen schwul oder lesbisch sind, aufmerksamer sein». Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft sagt es deutlicher: Stadtviertel, «wo arabischstämmige Grossfamilien beieinander sind, wo wir eine feste antijüdische Struktur haben», seien kein Ort für Bürger jüdischen Glaubens. Die «Bild»-Zeitung bringt den Berliner Tatbestand folgendermassen auf den Punkt:
«Hauptstadt kapituliert vor dem Mob» – der Staat habe die Kontrolle verloren.
In der Schweiz ist natürlich alles anders. Vergleichbar ist nur die Reaktion des Aussenministers: sehr, sehr aufmerksam gegenüber Drohungen des Mobs, der eine Demonstration ankündigt – gegen Israel und Juden, für Hamas und Hisbollah. Weshalb Ignazio Cassis es vorzieht, auf das vorgesehene Podium in Freiburg zu verzichten.
Kann man deutlicher machen, dass man nicht bereit ist, die Freiheit von Rede und Gegenrede durchzusetzen? Kann man klarer zum Ausdruck bringen, dass die Regierung vor Freiheitsfeinden kapituliert?
Bern ist nicht Berlin. Oder?