Die «SonntagsZeitung» stellte kürzlich bang die Frage: «Wenn Krieg wäre: Würden Sie für die Schweiz kämpfen?» Das Blatt zitierte dazu eine Gallup-Umfrage. Die war zu dem nicht minder bangen Schluss gelangt, dass nur 41 Prozent fürs eigene Land kämpfen würden. Nicht einmal eine Mehrheit – deutlich weniger als die Hälfte.
Da ist es doch überaus tröstlich, dass die Schweiz jüngst im Wahlkampf um den neuen Mitte-Bundesrat wenigstens einen dieser wagemutigen und wild entschlossenen Eidgenossen entdeckte: Markus Ritter. Der Nationalrat und Kandidat für die Landesregierung wurde schliesslich nicht gewählt, durfte sich aber doch als Bekenntnis-Held in dieser so jämmerlich unkämpferischen Zeit präsentieren. O-Ton Ritter: «Ich würde für die Schweiz sterben.»
Er – für uns alle.
Wie kommt man dazu, am reich gedeckten Schweizer Tisch die Frage nach Leben und Sterben für das eigene Land zu stellen? Und was ist eine Antwort wert, die da lautet: «Ja, das würde ich»?
Ist das mehr als eine Behauptung? Weiss einer, was er im Ernstfall tun würde? Und wenn er schliesslich doch davonrennt? Während der Zögerliche, Abwägende, Unsichere, der heute die Antwort auf diese bombastische Frage verweigert, im Ernstfall für die Schweiz stirbt?
Dem Kitsch der Frage entspricht der Kitsch der Antwort.
Wie ist in diesem Zusammenhang der Militärdienst zu werten? Als Bereitschaft zum Sterben fürs Vaterland? Wer die Rekrutenschule macht und die Wiederholungskurse absolviert, sagt zunächst einmal prinzipiell Ja zur Landesverteidigung. Er lernt schiessen, damit es hoffentlich nie nötig sein wird. Dieses Wissen ist die Lehre aus der Geschichte, bis in jüngste Zeit. Eine betrübliche Lehre.
Das Bekenntnis zum Sterben enthält sie nicht.
Daraus ein Konversationsthema zu machen, ist zynisch, wie ein Blick in Europas kriegerische Wirklichkeit lehrt: Die jungen Menschen in der Ukraine gehen nämlich wirklich (!) in den Krieg, sie gehen wirklich (!) an die Front, sie sterben wirklich (!) für ihre Heimat.
Wir palavern unterdessen grossspurig darüber, ob der eine für sein Land in den Tod gehen möchte oder wenigstens würde – der andere nicht.
Wurde den jungen Ukrainern die Frage, ob sie zum Kriegstod bereit seien, vorher gestellt? Haben sie die Antwort einzeln erteilt? Nein, der Krieg war plötzlich da, über Nacht. Die russischen Raketen schlugen in ihre Wohnhäuser, ihre Schulen, ihre Kliniken ein. Präsident Selenski, des Landes beliebtester Comedian, wuchs in der Schlacht der Ukrainer gegen die Russen zum Churchill. Die jungen Männer und Frauen folgten ihm – das Volk folgte ihm.
Ein Heldenepos? Nein, nackter Überlebenskampf.
Was ist, mit Blick auf die Ukraine, das eilfertige Bekenntnis des Ehrgeizlings aus dem Bundeshaus: «Ich würde für die Schweiz sterben»?
Geschmacklos.
Der mörderische Alltag, dem die Ukraine seit drei Jahren ausgeliefert ist, müsste die Schweiz dazu anstacheln, der tapferen Nation in ihrem Widerstand gegen den Kreml-Kriminellen jede denkbare Hilfe zukommen zu lassen – vor allem Waffen, Waffen, Waffen! Doch das Alpenland, das sich so gerne seines unbeugsamen Freiheitswillens rühmt, hält sogar Waffen zurück, die andere Nationen in der Schweiz gekauft haben und nun an die Ukraine weitergeben möchten.
Die Schweiz will nicht einmal für die Ukraine leben.
Vielleicht, weil sich die existenzielle Frage nach dem Sterben für die Schweiz so ganz und gar nicht stellt.
Gottlob.
Die Tugend der Stunde und bei diesem Thema wäre daher wohl Demut, oder einfach: Klappe halten!